Aus der Ortsgeschichte von Paulinenaue
von Georg Drasché (1966)
Mit der Gründung unseres Institutes verschob sich der Schwerpunkt der Grünland- und Moorforschung in der DDR nach Paulinenaue, und so schließt sich nach fast einem Vierteljahrtausend der Kreis: War vor 250 Jahren das Amt Königshorst Schrittmacher, Lehr- und Musterbetrieb für die Moor- und Viehwirtschaft in Preußen, so führt jetzt – nur wenige Kilometer südwestlich davon – unser Institut und LVG Paulinenaue/Selbelang diese Aufgabe für die DDR mit der gleichen Zielsetzung weiter. Gewiß, unser Wissen ist bedeutend größer geworden; doch das Ziel, neue Methoden für die Grünland- und Moorwirtschaft zu erarbeiten und in die breite Praxis zu überführen, ist heute wie damals das gleiche geblieben. Es wird daher nicht uninteressant sein, uns kurz die Entstehung der Gemeinde Paulinenaue anzusehen. Sie ist gleichzeitig auch ein Beispiel dafür, in welch kurzer Zeit in unserem Jahrhundert einmal gewonnenes Neuland besiedelt wird.
Die älteste Nachricht über den Ort, an dem jetzt Paulinenaue liegt, finden wir in einer Urkunde aus dem Jahre 1390. Darin wird bestätigt und „bezeuget“, daß Hasso von Bredow die „Heideberge“, gelegen im Blachen Luch zwischen dem Lindholze, der Lutsche und der Furt nach Brädikow, an das Domkapitel zu Brandenburg verkauft. Wahrscheinlich wurde bald darauf hier eine Meierei eingerichtet. Im Landbuch der Mark Brandenburg wird in einem Besitzverzeichnis von 1420 die „Bardelebensche Meierei“ anstelle der „Heideberge“ erwähnt, als Besitzer aber schon von Knoblauch zu Pessin genannt. Im Jahre 1830 wird diese Meierei zu einem Vorwerk des Pessiner Gutes erhoben und 1833 in „Paulinenaue“ umbenannt. Eine Pauline von Bardeleben heiratete damals den Pessiner Gutsbesitzer von Knoblauch. Im Jahre 1859 (Berghaus, Landbuch der Mark Brandenburg) hatte Paulinenaue sieben Wohngebäude: das Gutshaus (eine Etage), den Krähenwinkel, bestehend aus 2 Häusern, ein Meier- und Schäferhaus, das Bahnhofsgebäude und 2 Wohnhäuser in der Bahnhof- und Ruppiner Straße. Nach dem Bau der Eisenbahnstrecke Berlin-Hamburg im Jahre 1846 entstanden die ersten Häuser außerhalb des Gutsbereiches. So wurde z.B. 1886 das Gasthaus „Zu den drei Landkreisen“ fertiggestellt und die Ruppiner Straße von Eisenbahnern weiter bebaut. Die eigentliche Besiedlung setzte jedoch erst vor und während des ersten Weltkrieges ein, nachdem auch unser Teil des Luches durch den Bau der beiden Schöpfwerksanlagen Brädikow und Selbelang trockengelegt war. Damals entstanden die ersten Privathäuser in der Bahnhof- und Waldstraße und in der Brandenburger Allee.
1913 verkaufte von Knoblauch das Vorwerk an den Makler Staroßte. Dieser ließ den sogenannten Neubau (Gutsstraße) bauen und das Gutshaus aufstocken. Das nun selbständige Gut wechselte dann mehrmals den Besitzer. Zuerst kaufte es die Siedlungsgesellschaft, dann Prof. Goldschmidt, bis es 1924 endgültig der Landwirt Dr. Schurig erwarb. In diesem Jahr, am 8. Dezember 1924, wurde der bisherige Gutsbezirk Paulinenaue in eine Dorfgemeinde umgewandelt.
Traurig sah es früher mit dem Schulwesen in Paulinenaue aus. Zuerst mußten die Kinder der Eisenbahner nach Selbelang und die Gutskinder nach Pessin zur Schule gehen, bis im Jahre 1864 die Bahnverwaltung das heutige Wohnhaus Bahnhofstraße 24 als Schule zur Verfügung stellte. Der Lehrer war von Beruf Schneider und mußte einige Stunden am Tage noch Fahrkarten verkaufen! Erst 1922 entstand dann das neue Schulgebäude in der Bahnhof- / Ecke Waldstraße mit zwei Klassenräumen, in denen zwei Lehrkräfte im sogenannten Abteilungsunterricht wirkten.
Überhaupt setzte erst jetzt die eigentliche Entwicklung unserer Gemeinde ein. In den 20er und 30er Jahren wurden zwei Lebensmittelgeschäfte, eine Bäckerei und eine Schlächterei eröffnet. Der Aufschwung in Handel und Wohnungsbau zog Handwerker nach Paulinenaue. In dieser Zeit kamen ein Tischler, ein Maler, ein Brunnenbauer und ein Schuhmacher in den aufstrebenden Ort. Der Obst-, Erdbeer- und Spargelbau wurde eingeführt, eine Gemüsegärtnerei aufgebaut, und eine Kohlenhandlung versorgte die Bevölkerung mit Brennmaterial.
Seine rasche Entwicklung hat unser Ort hauptsächlich dem Bahnbau und danach dem von Schurig sehr intensiv betriebenen Gutsbetrieb zu verdanken. Damit waren dem Wachstum der Gemeinde aber auch gleichzeitig die Grenzen gesteckt. Die Handwerksbetriebe, Gärtnereien und die in den 30er und 40er Jahren entstandenen mittleren Bauernhöfe blieben mehr oder weniger Familienbetriebe. Abgesehen von einigen Versuchen, Industrie nach Paulinenaue zu bringen, wie z.B. die Diathermschweißerei von Prof. Goldschmidt oder die Süßmosterei von E. Werner, boten doch nur das Gut und die Eisenbahn der Paulinenauer Arbeiterschaft eine Verdienstmöglichkeit. Bald stellte sich auch ein Gleichgewicht zwischen dem Angebot an Arbeitsplätzen und der Einwohnerzahl ein, die sich daher von etwa 1930 bis zum 2. Weltkrieg nur unwesentlich veränderte. 1937 und 1942 wurden bei den Volkszählungen jeweils ca. 720 Einwohner gezählt. Paulinenaue galt damals als „totes Dorf“.
Erst seit Gründung des Institutes zur Steigerung der Pflanzenerträge durch Prof. Mitscherlich (1949) veränderte Paulinenaue wieder sein Gesicht. Es entstanden 2 völlig neue Straßen: die „Philipp-Müller-Straße“ und „Unter den Eichen“. – Kamen zuerst nur zögernd wenige fremde Arbeitskräfte in die Gemeinde, so nahm der Zustrom „Auswärtiger“ seit der Umstellung des Institutes auf die Probleme der Grünland- und Moorforschung (1957) einen ganz beträchtlichen Umfang an. 3 größere Wohnhäuser am Kintscher Weg entstanden und am Bahnhof wurden 2 Wohnblocks (8 und 16 WE) gebaut. Ein neuer 32 WE-Bau soll demnächst errichtet werden.
Und Paulinenaue hat sich verjüngt. In zwei Schulgebäuden werden zur Zeit 170 Kinder in 8 Klassen unterrichtet. Die 10 Lehrkräfte stehen schon jetzt vor schwierigsten Problemen, und die vielen jungen Familien, die im Forschungsinstitut neue Arbeitspläne gefunden haben, lassen noch auf einiges hoffen.
Der Zuzug vieler Fachkräfte durch die Gründung der Forschungsstätte blieb auch für die Gemeinde nicht ohne Auswirkung. Die Lebensmittelgeschäfte mußten erweitert und auf Selbstbedienung umgestellt werden, ein Wirtschaftswarenkonsum kam hinzu. Kinderkrippe und Kindergarten sind aus der Gemeinde nicht mehr wegzudenken; die Zweigstelle der Sparkasse Nauen, die VEAB, die Annahmestelle des Dienstleistungskombinates, Busverbindungen – um nur einiges zu nennen – sind Einrichtungen, die das Leben in unserer Gemeinde weiter erleichtern. Nicht zu vergessen das Landambulatorium und die Zahnstation der Poliklinik. Interessant mag dabei noch sein, daß dieses Gebäude bei seinem Bau im Jahre 1927 von dem damaligen Bauherrn Kintscher schon als zukünftiges Krankenhaus für Paulinenaue geplant wurde! Aus diesem Plan wurde jedoch nichts und außer einer Zahnstation wurde es als Wohnhaus genutzt. Heute steht es – wenn auch nicht als Krankenhaus – ganz im Dienste der Volksgesundheit.
Drei große Abschnitte in der Geschichte von Paulinenaue lassen sich deutlich erkennen, die jeweils von der Größe ihrer Produktionsstätten geprägt sind:
- die Zeit als Meierei und Vorwerk
- der Eisenbahnausbau, die Intensivierung des Landwirtschaftsbetriebes mit gleichzeitiger Aufsiedlung der jetzigen Gemeindeflächen und
- die Periode seit Einrichtung des Forschungsinstitutes.
Der letzte Abschnitt ist längst nicht beendet. Paulinenaue hat noch manches zu erwarten. Mit 1014 Einwohnern ist jetzt eine Einwohnerzahl erreicht, die wichtige kulturelle und soziale Einrichtungen unumgänglich macht. Ein neues Schulgebäude, mehr moderne Wohnbauten, günstigere Einkaufsmöglichkeiten, Kulturhaus usw. werden wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen. Paulinenaue hat seine Blütezeit noch vor sich.
Quelle: Paulinenauer Institutspost. Nr. 7 1966, S. 1 f. und Nr. 8 1966, S. 4.