Aus der Ortsgeschichte von Paulinenaue

von Georg Drasché (1966)


Georg Drasché (1929-2014)

Mit der Gründung unseres Institutes verschob sich der Schwerpunkt der Grünland- und Moorforschung in der DDR nach Pau­linenaue, und so schließt sich nach fast einem Vierteljahrtausend der Kreis: War vor 250 Jahren das Amt Königshorst Schrittmacher, Lehr- und Musterbetrieb für die Moor- und Viehwirtschaft in Preußen, so führt jetzt – nur wenige Kilometer südwestlich da­von – unser Institut und LVG Paulinenaue/Selbelang diese Aufgabe für die DDR mit der gleichen Zielsetzung weiter. Gewiß, unser Wissen ist bedeutend größer geworden; doch das Ziel, neue Methoden für die Grün­land- und Moorwirtschaft zu erarbeiten und in die breite Praxis zu überführen, ist heute wie damals das gleiche geblieben. Es wird daher nicht uninteressant sein, uns kurz die Entstehung der Gemeinde Paulinenaue anzusehen. Sie ist gleichzeitig auch ein Beispiel dafür, in welch kurzer Zeit in unserem Jahrhundert einmal gewonnenes Neu­land besiedelt wird.

Die älteste Nachricht über den Ort, an dem jetzt Paulinenaue liegt, finden wir in einer Urkunde aus dem Jahre 1390. Darin wird bestätigt und „bezeuget“, daß Hasso von Bredow die „Heideberge“, gelegen im Blachen Luch zwischen dem Lindholze, der Lutsche und der Furt nach Brädikow, an das Domkapitel zu Brandenburg verkauft. Wahrscheinlich wurde bald darauf hier eine Meierei eingerichtet. Im Landbuch der Mark Brandenburg wird in einem Besitzverzeichnis von 1420 die „Bardelebensche Meierei“ anstelle der „Heideberge“ erwähnt, als Besitzer aber schon von Knoblauch zu Pessin genannt. Im Jahre 1830 wird diese Meierei zu einem Vorwerk des Pessiner Gutes er­hoben und 1833 in „Paulinenaue“ umbe­nannt. Eine Pauline von Bardeleben hei­ratete damals den Pessiner Gutsbesitzer von Knoblauch. Im Jahre 1859 (Berghaus, Land­buch der Mark Brandenburg) hatte Pau­linenaue sieben Wohngebäude: das Guts­haus (eine Etage), den Krähenwinkel, bestehend aus 2 Häusern, ein Meier- und Schäferhaus, das Bahnhofsgebäude und 2 Wohnhäuser in der Bahnhof- und Ruppiner Straße. Nach dem Bau der Eisenbahnstrecke Berlin-Hamburg im Jahre 1846 entstanden die ersten Häuser außerhalb des Gutsbereiches. So wurde z.B. 1886 das Gasthaus „Zu den drei Landkreisen“ fertiggestellt und die Ruppiner Straße von Eisenbahnern weiter bebaut. Die eigentliche Besiedlung setzte jedoch erst vor und während des ersten Weltkrieges ein, nachdem auch unser Teil des Luches durch den Bau der beiden Schöpfwerksanlagen Brädikow und Selbelang trockengelegt war. Damals entstanden die ersten Privathäuser in der Bahn­hof- und Waldstraße und in der Branden­burger Allee.

1913 verkaufte von Knoblauch das Vorwerk an den Makler Staroßte. Dieser ließ den sogenannten Neubau (Gutsstraße) bauen und das Gutshaus aufstocken. Das nun selbständige Gut wechselte dann mehrmals den Besitzer. Zuerst kaufte es die Siedlungsgesellschaft, dann Prof. Goldschmidt, bis es 1924 endgültig der Landwirt Dr. Schurig erwarb. In diesem Jahr, am 8. Dezember 1924, wurde der bisherige Gutsbezirk Pau­linenaue in eine Dorfgemeinde umgewandelt.

Traurig sah es früher mit dem Schulwesen in Paulinenaue aus. Zuerst mußten die Kin­der der Eisenbahner nach Selbelang und die Gutskinder nach Pessin zur Schule gehen, bis im Jahre 1864 die Bahnverwaltung das heutige Wohnhaus Bahnhofstraße 24 als Schule zur Verfügung stellte. Der Lehrer war von Beruf Schneider und mußte einige Stunden am Tage noch Fahrkarten verkau­fen! Erst 1922 entstand dann das neue Schulgebäude in der Bahnhof- / Ecke Waldstraße mit zwei Klassenräumen, in denen zwei Lehrkräfte im sogenannten Abteilungs­unterricht wirkten.

Überhaupt setzte erst jetzt die eigentliche Entwicklung unserer Gemeinde ein. In den 20er und 30er Jahren wurden zwei Lebensmittelgeschäfte, eine Bäckerei und eine Schlächterei eröffnet. Der Aufschwung in Handel und Wohnungsbau zog Handwer­ker nach Paulinenaue. In dieser Zeit kamen ein Tischler, ein Maler, ein Brunnenbauer und ein Schuhmacher in den aufstrebenden Ort. Der Obst-, Erdbeer- und Spargelbau wurde eingeführt, eine Gemüsegärtnerei aufgebaut, und eine Kohlenhandlung versorgte die Bevölkerung mit Brennmaterial.

Seine rasche Entwicklung hat unser Ort hauptsächlich dem Bahnbau und danach dem von Schurig sehr intensiv betriebenen Gutsbetrieb zu verdanken. Damit waren dem Wachstum der Gemeinde aber auch gleichzeitig die Grenzen gesteckt. Die Hand­werksbetriebe, Gärtnereien und die in den 30er und 40er Jahren entstandenen mittle­ren Bauernhöfe blieben mehr oder weni­ger Familienbetriebe. Abgesehen von eini­gen Versuchen, Industrie nach Paulinenaue zu bringen, wie z.B. die Diathermschweißerei von Prof. Goldschmidt oder die Süßmosterei von E. Werner, boten doch nur das Gut und die Eisenbahn der Paulinenauer Arbeiterschaft eine Verdienstmöglichkeit. Bald stellte sich auch ein Gleichgewicht zwischen dem Angebot an Arbeitsplätzen und der Einwohnerzahl ein, die sich daher von etwa 1930 bis zum 2. Weltkrieg nur unwesentlich veränderte. 1937 und 1942 wur­den bei den Volkszählungen jeweils ca. 720 Einwohner gezählt. Paulinenaue galt damals als „totes Dorf“.

Erst seit Gründung des Institutes zur Stei­gerung der Pflanzenerträge durch Prof. Mitscherlich (1949) veränderte Paulinenaue wieder sein Gesicht. Es entstanden 2 völlig neue Straßen: die „Philipp-Müller-Straße“ und „Unter den Eichen“. – Kamen zuerst nur zögernd wenige fremde Arbeitskräfte in die Gemeinde, so nahm der Zustrom „Auswärtiger“ seit der Umstellung des In­stitutes auf die Probleme der Grünland- und Moorforschung (1957) einen ganz be­trächtlichen Umfang an. 3 größere Wohnhäuser am Kintscher Weg entstanden und am Bahnhof wurden 2 Wohnblocks (8 und 16 WE) gebaut. Ein neuer 32 WE-Bau soll demnächst errichtet werden.

Und Paulinenaue hat sich verjüngt. In zwei Schulgebäuden werden zur Zeit 170 Kin­der in 8 Klassen unterrichtet. Die 10 Lehr­kräfte stehen schon jetzt vor schwierigsten Problemen, und die vielen jungen Familien, die im Forschungsinstitut neue Arbeitspläne gefunden haben, lassen noch auf einiges hoffen.

Der Zuzug vieler Fachkräfte durch die Grün­dung der Forschungsstätte blieb auch für die Gemeinde nicht ohne Auswirkung. Die Lebensmittelgeschäfte mußten erweitert und auf Selbstbedienung umgestellt werden, ein Wirtschaftswarenkonsum kam hinzu. Kinder­krippe und Kindergarten sind aus der Ge­meinde nicht mehr wegzudenken; die Zweigstelle der Sparkasse Nauen, die VEAB, die Annahmestelle des Dienstleistungskombinates, Busverbindungen – um nur einiges zu nennen – sind Einrichtungen, die das Leben in unserer Gemeinde weiter erleich­tern. Nicht zu vergessen das Landambula­torium und die Zahnstation der Poliklinik. Interessant mag dabei noch sein, daß dieses Gebäude bei seinem Bau im Jahre 1927 von dem damaligen Bauherrn Kintscher schon als zukünftiges Krankenhaus für Paulinen­aue geplant wurde! Aus diesem Plan wurde jedoch nichts und außer einer Zahnstation wurde es als Wohnhaus genutzt. Heute steht es – wenn auch nicht als Krankenhaus – ganz im Dienste der Volksgesundheit.

Drei große Abschnitte in der Geschichte von Paulinenaue lassen sich deutlich erkennen, die jeweils von der Größe ihrer Produktionsstätten geprägt sind:

  1. die Zeit als Meierei und Vorwerk
  2. der Eisenbahnausbau, die Intensivierung des Landwirtschaftsbetriebes mit gleich­zeitiger Aufsiedlung der jetzigen Ge­meindeflächen und
  3. die Periode seit Einrichtung des Forschungsinstitutes.

Der letzte Abschnitt ist längst nicht beendet. Paulinenaue hat noch manches zu erwar­ten. Mit 1014 Einwohnern ist jetzt eine Ein­wohnerzahl erreicht, die wichtige kulturelle und soziale Einrichtungen unumgänglich macht. Ein neues Schulgebäude, mehr moderne Wohnbauten, günstigere Einkaufs­möglichkeiten, Kulturhaus usw. werden wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen. Paulinenaue hat seine Blütezeit noch vor sich.

Quelle: Paulinenauer Institutspost. Nr. 7 1966, S. 1 f. und Nr. 8 1966, S. 4.