Die Anlegung eines Friedhofs in Paulinenaue wird, soweit es sich aus den aufgefundenen Akten erlesen lässt, erstmals im Jahre 1867 verhandelt. Schon damals war die Eisenbahn im Ort fest etabliert, stark genug, um sich nach Meinung des Paulinenauer Gutsherrn Curt von Knoblauch auch an den kommunalen Pflichten zu beteiligen. Von Knoblauch, dem als Patron von Paulinenaue die Armenfürsorge oblag, fürchtete, einmal auch für die Bahnerfamilien aufkommen zu müssen, immerhin 13 von ihnen gab es vor 140 Jahren schon im Dorf.
Für den Fall, dass die Bahn die Verantwortung für die eigenen Beamten übernimmt, lässt von Knoblauch 1867 ausrichten, „werde er einen Begräbnißplatz für die sämmtlichen Einwohner von Paulinenaue unentgeldlich hergeben und einrichten, entgegengesetzten Falles könne er sich nicht hierzu verstehen.“ Bliebe man aber uneins, so wolle er in Zukunft alle weiteren Bauvorhaben der Bahn im Dorf blockieren. Die Bahn ging nicht auf das Angebot ein und ignorierte die Drohung mit Erfolg. Viele Bahnbauten entstanden in der Folgezeit in Paulinenaue, aber mehr als fünfzig weitere Jahre mussten die Paulinenauer ihre Toten im Nachbardorf Selbelang bestatten. Noch heute findet man hier Gräber von Paulinenauern.
Im hinteren Teil des Selbelanger Friedhofs stehen in die Jahre gekommen die wankenden und gestürzten Steine der Vorkriegszeit; vernachlässigt und dabei doch oft so edel gefertigt und ewigkeitstauglich, dass es merkwürdig berührt, sie so zu sehen. Unter einem dieser Steine ruhen die im Alter von 26 Jahren gestorbene Minna Käding und ihr nur wenige Monate altes Töchterchen Elfriede. Minna Käding war eine geborene Boddin und stammte aus Paulinenaue. Vor fast 90 Jahren verstorben, zählen die beiden zu den letzten in Selbelang begrabenen Paulinenauern und durch Zufall hat sich die Geschichte des traurigen Doppeltodesfalles nicht nur auf ihrem Grabstein erhalten. Der Retzower Pfarrer Martin Koch, der in der Zeit des Ersten Weltkriegs für die Soldaten der heimatlichen Kirchspiele eine Zeitung, die „Heimatglocken“, herausgab, hielt im Mai 1918 fest, dass „ein recht schmerzlicher Todesfall aus Paulinenaue zu melden“ sei.
„Frau Minna Käding verstarb am 24.4., nachdem sie am 26.3. ihrer ersten Tochter das Leben geschenkt hatte. Der Ehemann Feldgendarm Paul Käding konnte noch zum Begräbnis herankommen, um der Taufe seines Kindes am Sarge seiner lieben, jungen Frau beizuwohnen. Die beiden Familien Boddin und Käding, denen der Krieg schon schmerzliche Trauer gebracht hat, sind schwer getroffen.“
Die kleine Elfriede überlebte ihre Mutter nur um Wochen. Auch ihren Tod vermerkt der Pfarrer nicht ohne Rührung: „Paul Käding hat nach seiner jungen Frau bald auch sein Töchterchen hergeben müssen. Dasselbe starb am 27.6. im Hause der Großeltern Boddin, die es neben seiner Mutter schmerzbewegt in die Erde senkten.“
Die Großeltern Gustav und Minna Boddin lebten nach diesen Widerfahrnissen noch 15 bzw. 25 Jahre. Ihre Grabstelle zählt heute zu den ältesten in Paulinenaue. Nur einige wenige Jahre, und die Familie hätte nicht in zwei unterschiedlichen Dörfern ihre Ruhestätten finden müssen. Im Juli 1921 nämlich beantragten die Kirchenältesten die Einrichtung eines Begräbnisplatzes in Paulinenaue. Der Landrat übermittelt im August nach Potsdam: „Bisher sind die Leichen von Paulinenaue in der 7 km entfernt liegenden Gemeinde Selbelang beerdigt worden. Dieser Zustand ist auf Dauer unhaltbar, sodaß die Anlage eines besonderen Begräbnisplatzes in Paulinenaue dringendes Bedürfnis ist.“ Unter der Bedingung, dass eine kleine Leichenhalle errichtet werde, wurde diesem Antrag bald stattgegeben und schon im Dezember kann der Landrat übermitteln, dass der Friedhof so weit hergestellt sei, „daß er jetzt in Benutzung genommen werden kann. Die Umzäunung soll im Laufe des Winters erfolgen.“ Und weil auch auf dem Feld der Ewigkeit alles geregelt zugehen muss, schließt er mit den Worten: „Es wird sodann auch eine Begräbnisordnung eingereicht werden.“
Ein letzter Brief sei erwähnt. Pfarrer Koch als Vorsitzender des Gemeindekirchenrates setzte ihn am 1. Mai 1922, also vor genau 85 Jahren, auf. Er berichtet darin vom vorläufigen Abschluss einer Angelegenheit, die sich zuletzt doch in trauter Einigkeit zwischen Bahn und Gutsverwaltung vollzogen hatte. Koch schreibt:
„Der Begräbnisplatz in Paulinenaue ist fertig hergerichtet. Umfangreiche Erdarbeiten waren nötig, um den Platz einzuebnen und einen etwa 300 m langen Zufahrtsweg zu schaffen und zu bepflanzen. Anerkennend möchte ich hervorheben, daß sämtliche Arbeiten an Hand- und Spanndiensten von den Einwohnern unentgeldlich und freiwillig geleistet sind. Besonders haben sich die Eisenbahnangestellten beteiligt. Der Oberbahnmeister hatte die technische Leitung. Die Pfosten der Umwehrung sind von der Gutsverwaltung geschenkt. Der Platz ist im Herbst vorigen Jahres in Benutzung genommen und bereits mit einigen Gräbern belegt.“Ob allerdings der Plan umgesetzt wurde, den Koch abschließend nennt, ist aus den Akten leider nicht zu erfahren: „Wir sind dabei, die Überlassung eines alten Eisenbahnwagens zu beantragen und denselben so umzubauen, daß er vorläufig als Leichenhalle dienen kann.“
Was hätte wohl Curt von Knoblauch dazu gesagt, dass seine Paulinenauer einmal so stark mit der Eisenbahn verbunden sein würden?
Joachim Scholz, 19.05.2007.
Quellen: Koch, Martin (1919): Heimatglocken. Kirchliches Gemeindeblatt für die Kirchspiele Retzow und Pessin. Ausgaben Mai und August, jeweils Artikel Pessin-Möthlow; BLHA Potsdam, Rep. 6B, Regierung Potsdam, WH, Nr. 758: Die im Jahr 1863-1869 nachgesuchten resp. ertheilten Bau-Consense; BLHA Potsdam, Rep. 2A, Regierung Potsdam II, WH Nr. 785: Begräbnisplatz in Paulinenaue (1921-1922).
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