„Eine germanische Ansiedlung aus der späten römischen Kaiserzeit bei Paulinenaue“

Ein Artikel aus der Prähistorischen Zeitschrift von 1912

Zusammengestellt und erläutert von Joachim Scholz

Im Jahre 1911 grub der märkische Frühgeschichtsforscher Albert Kiekebusch (1870-1935) bei Paulinenaue eine altgermanische Ansiedlung aus. Den Fund, zu dem auch zahlreiche Tierknochen, darunter ein gut erhaltenes Hundeskelett gehörten, dokumentierte Kiekebusch in einem Artikel in der „Praehistorischen Zeitschrift“, der hier auszugsweise wiedergegeben und erläutert werden soll. Die folgenden Dokumente der Serie „Über die Ausgrabung einer altgermanischen Ansiedlung bei Paulinenaue 1912“ geben Einblick in das Leben unserer Gemarkung vor beinahe 2000 Jahren, der Artikel aus dem Jahre 1912 enthält aber auch vergessene Information aus der Zeit des Fundes, beispielsweise über Flurnamen, die vor etwa 100 Jahren in Paulinenaue gebräuchlich waren.

„Der Hund von Paulinenaue ist nicht gegessen worden“

Mit seinem im vierten Band der „Praehistorischen Zeitschrift“ von 1912 erschienenen Aufsatz über den Fund einer germanischen Ansiedlung auf dem Acker des Paulinenauer Gutsherrn von Knoblauch führt uns der märkische Frühgeschichtsforscher Albert Kiekebusch in die nur wenig bekannte Zeit der frühen Besiedlung der Paulinenauer Ortslage. Was wir darüber in Erfahrung bringen können, beruht zum allergrößten Teil auf dieser Arbeit, die im Folgenden in ihren ortsgeschichtlich relevanten Passagen wiedergegeben wird. Dem Originaltext Albert Kiekebuschs sollen deshalb hier nur einige Kommentare angefügt werden.

Abb. 1: Sah so Paulinenaue vor 2000 Jahren aus? Jedenfalls stellte man sich zu Kiekebuschs Lebzeiten eine altgermanische Ansiedlung so vor.

Abb. 1: Sah so Paulinenaue vor 2000 Jahren aus? Jedenfalls stellte man sich zu Kiekebuschs Lebzeiten eine altgermanische Ansiedlung so vor.

Dass der Ort, an dem heute Paulinenaue liegt, bereits in der Vorgeschichte bewohnt war, ist außer in den unpublizierten Nachforschungen des Lehrers Gerhard Hellwig von den Chronisten nicht erwähnt oder nur als bloße Information unbelegt angedeutet worden. Erst 1390 setzen mit der Wiedergabe der ältesten Schriftzeugnisse die meisten Ortsgeschichten ein. Durch die Mitteilung der schon 1911 festgestellten Besiedlung geht Albert Kiekebusch indessen noch um 1000 Jahre weiter zurück bis in die späte römische Kaiserzeit, jene relativ kurze Epoche, die sich etwa über die ersten 400 Jahre unserer Zeitrechnung erstreckt und deren Bezeichnung sich auch für Gebiete außerhalb des Römischen Reiches eingebürgert hat. So wird sie auch auf die Germanen angewendet, die unser Gebiet besiedelten, bis sie im Zuge der Völkerwanderung südwärts zogen und für einige Jahrhunderte slawische Wenden ihren Platz einnahmen. Etwa aus der Zeit des Aufbruchs der Germanen stammt der Paulinenauer Fund. Dass dieser so gut dokumentiert ist, verdankt sich vor allem der gründlichen Arbeit Albert Kiekebuschs, eines im Raum Berlin-Brandenburg damals sehr bekannten Archäologen.

Die prähistorische Einordnung des Paulinenauer Hauses durch Kiekebusch

Kiekebusch war Leiter der vorgeschichtlichen Abteilung des Märkischen Museums in Berlin und ein ebenso sorgfältiger wie fleißiger Forscher, der am Ende seines Lebens auf 179 Veröffentlichungen blicken konnte (vgl. Mertins-Kiekebusch 1995, S. 267-281). Die Paulinenauer Ausgrabung ist noch eine seiner früheren Unternehmungen, doch lag die wichtigste Arbeit zu dieser Zeit schon hinter ihm. Auf dem im Entstehen begriffenen Krankenhausgelände in Berlin-Buch waren 1909 bedeutende Reste eines noch wesentlich älteren, bronzezeitlichen Dorfes mit mehr als 100 Grundrissen gefunden worden (vgl. Kiekebusch 1923). Auf diesen Fund und auf den eines weiteren bronzezeitlichen Dorfes bei Hasenfelde in der Nähe von Müncheberg wird in unserem Artikel an einigen Stellen Bezug genommen.

Abb. 2: Albert Kiekebusch - märkischer Frühgeschichtler und Ausgräber des Paulinenauer Hauses.

Abb. 2: Albert Kiekebusch – märkischer Frühgeschichtler und Ausgräber des Paulinenauer Hauses.

Dem im Oktober 1911 ausgegrabenen Paulinenauer Haus gab Kiekebusch in mehrfacher Hinsicht Bedeutung. Es war zum einen ein seltener Beleg germanischer Besiedlung der Mark in vorslawischer Zeit. „Bis vor wenigen Jahren kannten wir in der Mark Brandenburg überhaupt noch kein Dorf aus altgermanischer Zeit“ schreibt Kiekebusch 1916. „Ja, man war sogar immer noch im Zweifel darüber, ob unsere Vorfahren in Dörfern nebeneinander wohnten. Die Ausgrabungen der letzten Zeit haben mit unbedingter Sicherheit erwiesen, daß es germanische Dörfer gab. Ihre Spuren sind uns jetzt an verschiedenen Stellen bekannt geworden. Bei Großbeeren, in Neukölln, bei Paulinenaue, bei Kyritz und Stüdenitz in der Ostpriegnitz und bei Cüstrin sind deutliche Ueberreste solcher Dörfer gefunden worden“ (Kiekebusch 1916, S. 74). Neben diesen Erkenntnissen belegte die Paulinenauer Ansiedlung auch, dass, obwohl mehr als 1000 Jahre jünger, „der Grundriß eines germanischen Hauses noch genau dem des bronzezeitlichen Hauses von Buch entspricht“ (Kiekebusch 1934, S. 110 f.).

Für sehr interessant hielt Kiekebusch auch die Beobachtung, dass in Hasenfelde, einer bislang nur auf die Bronzezeit datierten Siedlung, Gefäßreste aufgefunden wurden, die den Paulinenauern glichen und folglich jüngeren Datums sein mussten. Diese slawischen Scherben aus Hasenfelde neben den fast gleich alten germanischen aus Paulinenaue bewiesen ihm, dass „zwischen ihnen der für die Geschichte der Mark und auch ganz Ostdeutschlands so bedeutungsvolle Bevölkerungswechsel“ gelegen haben muss (Kiekebusch 1912, S. 159). Schließlich dienten dem Forscher die Beobachtungen aus Paulinenaue, Buch und Hasenfelde noch zur Beantwortung weiterführender prähistorischer Fragen, etwa der nach dem Zeitpunkt der Entdeckung des rechten Winkels oder der Urform von Säulen, die er in den Stützen umlaufender Vordächer von Hütten vermutete. Diese allgemeinen Passagen des Artikels sollen hier jedoch weniger interessieren als die für unsere Ortsgeschichte relevanten Fragen danach, wo das germanische Dorf gefunden wurde und was sich über den Fund und die Fundumstände sagen lässt.

Abb. 3: Kiekebuschs Rekonstruktion eines Hauses der Bucher Bauform. Den gleichen Grundriss hatte auch das Paulinenauer Haus.

Abb. 3: Kiekebuschs Rekonstruktion eines Hauses der Bucher Bauform. Den gleichen Grundriss hatte auch das Paulinenauer Haus.

Zur lokalgeschichtlichen Bedeutung des Fundes

Dank der dem Aufsatz beiliegenden Karte und einer exakten textlichen Beschreibung lässt sich auch heute noch leicht bestimmen, wo genau im Sommer 1911 „der Pflug wieder auf eine größere Pflasterung“ (ebd., S. 153) gestoßen war. Es handelt sich um das Feld rechts der Straße nach Brädikow, beinahe auf Höhe der heutigen Milchviehanlage. Die Fundstelle liegt etwa 40 Meter südlich der Mittellinie der Berlin-Hamburger Eisenbahn in Verlängerung „des an dieser Stelle hart nördlich der Bahn gelegenen kleinen Gehölzes“, das dort auch heute noch zu finden ist. Einige Flurnamen, die vor fast einhundert Jahren in Paulinenaue geläufig waren und uns durch den Artikel überliefert werden, sind dagegen in Vergessenheit geraten. So die Bezeichnung „Die Insel“ für den kleinen Ausläufer der Pessiner Heide am Luttergraben, der noch vor der Milchviehanlage links an die Kreisstraße stößt, oder die „Hasselberge“ an der Jahnstraße, die die höchste Erhebung der Paulinenauer Gemarkung darstellen und laut Karte etwa auf dem jetzigen Grundstück Kopplin (Jahnstraße 5b) eine weitere, heute völlig vergessene Fundstelle vorgeschichtlicher Besiedlung aufweisen.

Abb. 4: Legt man die bei Kiekebusch abgedruckte Karte über ein Satellitenbild, kann man den tatsächlichen Standort der Siedlung direkt an der Bahnlinie ziemlich genau ausmachen (großer gelber Kreis). Der kleine Kreis bezeichnet einen Fund aus späterer Zeit, auf den im Artikel nur hingewiesen wird. Karte: Google Earth, 2007.

Abb. 4: Legt man die bei Kiekebusch abgedruckte Karte über ein Satellitenbild, kann man den tatsächlichen Standort der Siedlung direkt an der Bahnlinie ziemlich genau ausmachen (großer gelber Kreis). Der kleine Kreis bezeichnet einen Fund aus späterer Zeit, auf den im Artikel nur hingewiesen wird. Karte: Google Earth, 2007.

Schließlich gibt uns der Artikel einige Hinweise auf den letzten Paulinenauer Gutsherrn aus der Familie derer von Knoblauch, Wilhelm Ernst von Knoblauch (1868-1943), der ein gewissenhafter Mensch gewesen sein muss, denn er teilte den frühgeschichtlichen Fund auf seinem Acker, zumindest nach Ablauf einiger Zeit, dem Märkischen Museum in Berlin mit. Dass Kiekebusch zu Beginn seines Aufsatzes den Gutsbesitzer erwähnt, darf man als eine Geste der Anerkennung verstehen.

Das Geheimnis des Hundes von Paulinenaue

Am Ende stellt uns der Artikel noch vor ein weiteres Rätsel. Neben Tierknochen von Ziege, Rind und Torfschwein, die sich in der Umgebung des Paulinenauer Hauses fanden, war man auf dem Grund der Herdgrube auf ein fast völlig erhaltenes Hundeskelett gestoßen. Nach der Lektüre der ebenso ausführlichen wie spannenden Passagen um die Tierknochenfunde bleibt die Frage, warum der in der Ofengrube verbrannte, aber nicht verzehrte Hund von den Besitzern des Hauses nicht aus der Herdstelle entfernt worden ist. Auch wenn es sich um eine Opferung gehandelt hat, wie das Gutachten nahelegt: dass das gebratene Tier danach einfach im Ofen geblieben sein soll, bis Kiekebusch es 900 Jahre später fand, gibt doch zu denken. Der Artikel lässt den Laien hier mit seinen Fragen allein. Haben etwa Dritte den Hund mitsamt dem Haus verbrannt, ist der in der Ofengrube verbliebene Vierbeiner Zeugnis einer Gewalttat, die zugleich das Ende der Paulinenauer Siedlung anzeigt? Waren es gar einziehende Slawen, die jene Urpaulinenauer vertrieben und nur einen verbrannten Hund zurückgelassen haben?

All dies war wohl nicht der Fall. Das „Reallexikon der Germanischen Altertumskunde“ gibt in einem eigens dem Hund und dem Hundegrab gewidmeten Kapitel Auskunft über die in grauer Vorzeit übliche Praxis der Hundebestattung unter- und auch oberhalb von Feuerstätten. Den Hund von Paulinenaue findet man hier neben anderen seiner Zeit- und Artgenossen, die unter Türschwellen, in Pfostenlöchern oder an Hauseingängen mitunter reihenweise begraben worden sind (vgl. Makiewicz 2004, S. 224). Wahrscheinlich also ist der geopferte Hund von seinen Besitzern nach einer eigentümlichen Sitte unter der Ofenstelle bestattet worden.

Trotz aller Nachforschungen werden wir es wohl nicht mehr ganz genau erfahren können, was sich dort zugetragen hat, wo der Hund, das Torfschwein und die Paulinenauer Germanen, von denen uns Albert Kiekebusch im folgenden Text erzählt, einst lebten. Der Boden ist an dieser Stelle tief gepflügt und alle ihre Reste sind verschwunden.

 

Abbildungen: Abb. 1: Aus: Mertins-Kiekebusch (1995), S. 2; Abb. 2: Haus (Grundriß 94). Tafel XII. In Kiekebusch (1923), S. 64; – Abb. 3: Altgermanisches Gehöft. In: Krasszick, A. (1923): Geschichte des Deutschen Volkes. Heft I: Von den Germanen bis 1786. Berlin: Trowitzsch & Sohn, S. 5; – Abb. 4: Google Earth © 2007, mit eigenen Ergänzungen. Literatur: Hellwig, Gerhard (1980): Schreibmaschinenmanuskript zur älteren und ältesten Pessiner und Paulinenauer Geschichte. Paulinenaue, 6 Seiten. – Kiekebusch, Albert (1912): Eine germanische Ansiedlung aus der späten römischen Kaiserzeit bei Paulinenaue, Kr. Westhavelland. Nebst einigen Bemerkungen über den Zusammenhang der Grundrisse vom Bucher Typus mit dem altgriechischen Megaron. In: Praehistorische Zeitschrift. 1912, Bd. IV, H. 1/2, S. 152-165. – Kiekebusch, Albert (1916): Bilder aus der märkischen Vorzeit. Für Freunde der heimischen Altertumskunde, insbesondere für die Jugend und ihre Lehrer. Berlin: Dietrich Reimer (Ernst Vohsen). – Kiekebusch, Albert (1923): Die Ausgrabung des bronzezeitlichen Dorfes Buch bei Berlin. Berlin: Dietrich Reimer (Ernst Vohsen). – Kiekebusch, Albert (1934): Deutsche Vor- und Frühgeschichte. Leipzig: Philipp Reclam jun. – Makiewicz, T. (2004): Hund und Hundegräber, §4: Archäologisches, Allgemeines. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich und Heiko Steuer. Berlin, New York: de Gruyter, S. 217-232. – Mertins-Kiekebusch, Ingeborg (Hrsg.)(1995): Gedanken und Erinnerungen. Dr. Albert Kiekebusch. Kevelaer: Bercker Graphischer Betrieb GmbH.