17.01.2007
Eine Geschichte von Anpassung und Widerstand im Nationalsozialismus in Paulinenaue und Friesack
2.Teil
Joachim Scholz
Die Diktatur belohnte den, der den Mund verschloss und man darf annehmen, dass sie auch den Friesacker Pfarrer verschont hätte, hätte der sich in Stille beschieden. Doch allen „Friedensangeboten“ zum Trotz gab Willimsky immer wieder Anlass zu Ärgernissen. Else Billian aus Paulinenaue erinnert sich noch heute daran, wie der Pfarrer im Gottesdienst gegen die Nazis predigte. „Denen werde ich Luft machen!“ soll er empört gerufen haben. Auch verlas er jeden der regimekritischen katholischen Hirtenbriefe und knüpfte Spitzen in seine Predigten. So äußerte er sich gegen den nationalsozialistischen Chefideologen Alfred Rosenberg von der Kanzel aus, indem er dessen berühmt-berüchtigte Schrift, den „Mythus des 20. Jahrhunderts“, öffentlich als „Blödsinn“ bezeichnete. Rosenberg und der HJ-Führer Baldur von Schirach seien der Jugend keine Vorbilder, erwähnte er ein andermal im Friesacker Bankgebäude. Er ließ 1935 beim Anschluss des Saargebietes die Friesacker Kirchenglocken nicht wie vorgeschrieben läuten und man sagte, er verstecke im Keller des Pfarrhauses eine Druckmaschine, um Hetzschriften gegen die Regierung zu verfassen und diese zu vervielfältigen. Kein Wunder, dass die Gestapo auf den Fall aufmerksam wurde und Willimsky bald pausenlos unter Beobachtung stand. Die Aktenstücke, die in seiner Angelegenheit angefertigt wurden, mehrten sich. Dass er oft nur durch Glücksfälle einer Verhaftung entging, wird Willimsky selbst nicht geahnt haben, doch auch ohne Gefängnisstrafe waren seine Tage im Havelland bald gezählt.
Zwar hatte er den Prozess um die unauffindbare Druckmaschine noch gewonnen, aber durch seine unbedachten Äußerungen geriet Willimsky in Friesack wieder und wieder in neue Bedrängnis, bis gegen ihn im März 1935 ein Aufenthaltsverbot für den gesamten Kreis erging und Willimksy binnen 24 Stunden die Stadt Friesack verlassen musste. Dem Berliner Domkapitular Lichtenberg, der später selbst von den Nazis ermordet werden sollte, gelang es noch, diese Frist um einige Tage aufzuschieben, damit am Sonntag, dem 31.03.1935, Gottesdienst stattfinden konnte. Mit welchen Gefühlen Willimsky seine letzte Friesacker Predigt gehalten hat, lässt sich aus der Überlieferung nicht erlesen. Ihm war durch die Gestapo zur Auflage gemacht worden „in seinen Auesserungen und in seinem Auftreten völlige Zurückhaltung im Zusammenhang mit den Massnahmen [zu üben], die gegen ihn ergangen sind, und dass er sich streng auf seine geistliche und seelsorgerische Tätigkeit beschränkt.“ Ob er sich daran gehalten hat, wissen wir nicht, wohl aber, dass er auch in Gransee, wohin man ihn daraufhin versetzte, nicht lange geduldet wurde. Im Oktober 1938 ist er erstmals verhaftet und nach der Entlassung aus dem Untersuchungsgefängnis in der Potsdamer Lindenstraße im Mai 1939 nach Podejuch, eine kleine Gemeinde in der Nähe von Stettin, versetzt worden. Doch kein halbes Jahr verging, bis er sich wegen polenfreundlicher Äußerungen erneut in Haft begeben musste. Ein katholischer Kaufmann hatte ihn diesmal denunziert. Aus dem Stettiner Polizeigefängnis überführte man den „trotz Bestrafung unverbesserlich[en]“ Pfarrer im Januar 1940 zum letzten Mal. Im Konzentrationslager Sachsenhausen, wohin man ihn brachte, ist Willimsky nach wenigen Wochen, am 22. Februar 1940 gestorben. „Wer weiß, was der Herrgott mit uns vorhat,“ schrieb er vor der Einlieferung ins KZ an seine Haushälterin. „Schmerzvoll ist nur, daß ich nun gar keine Aussicht auf Gottesdienst habe. Beten wir um so inniger füreinander. So wird auch diese Zeit vorübergehen, und wir werden uns wiedersehen.“
Willimsky war im Havelland nicht der einzige Geistliche, der in offenen Konflikt mit dem nationalsozialistischen Regime geriet. Neben ihm stoßen wir in den Potsdamer Staatspolizeiakten auf den evangelischen Bekenntnispfarrer Johannes Pecina aus Groß Behnitz oder auf Pfarrer Otto Voigt aus Finkenkrug. Doch während es in Finkenkrug bereits einen Pfarrer-Voigt-Platz gibt, sucht man nach einem Andenken für Willimsky in und um Friesack vergeblich. Die Paulinenauer Straße, in der noch immer die alte Schnitterkaserne steht, heißt heute Philipp-Müller-Straße, benannt zu Zeiten des kalten Krieges nach einem FDJler aus München, der während einer Demonstration in Essen von der Polizei erschossen worden war. Wie vielfach in Ostdeutschland erfolgte diese Benennung als reines Politikum ohne jeden Bezug zur Geschichte des Dorfes. Sollte man nicht darüber nachdenken, diesen lokalgeschichtlich nicht unbedeutsamen Ort zum Andenken des auch von Paulinenauer Bürgern einst so unfreundlich abgewiesenen Pfarrers umzuwidmen?
Links
Wygnanie księdza Willimsky: Der Artikel in polnischer Sprache (PDF-Download)
Text: Joachim Scholz. Fotos: Portrait Willimsky, http://www.knob.pl/pub/showpage.asp?lang=1&page=1353; Schnitterkaserne, Georg Drasché 1967; Paulinenaue 1938, Gemeindearchiv Paulinenaue; Kirche Friesack, Joachim Scholz 2006, Gedenktafel Gransee, http://commons.wikimedia.org/wiki/Image:Gransee_Willimsky-Bartsch_WT2005.jpg.
Quellen: BLHA Potsdam, Rep. 2 A Regierung Potsdam Abteilung II: Kirchen- und Schulwesen, Generalia, Nr. 287: Erteilung und Revision des Katholischen Religionsunterrichtes (1929-1944); BLHA Potsdam, Rep. 2A Regierung Potsdam, Abteilung II: Kirchen- und Schulwesen, Kreis Westhavelland, Nr. 790: Die Schulverwaltung und Schulbau in Paulinenaue (1860-1923); BLHA Potsdam, Rep. 2 A Regierung Potsdam, Abteilung II: Kirchen- und Schulwesen, Kreis Westhavelland, Nr. 793: Der katholische Religionsunterricht in Paulinenaue (1927-1934); BLHA Potsdam, Rep. 2 A Regierung Potsdam, Abteilung I Pol Nr. 3036 I Pol. G 10: Maßnahmen gegen Geistliche (1935-1943); Interview mit Else Billian (Paulinenaue) am 15.10.2006; Kühn, Heinz (1950): Blutzeugen des Bistums Berlin. Berlin: Morus-Verlag.
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