08.09.2004

Teil 3

Paulinenaue und die Eisenbahn

Jeder Paulinenauer weiß, dass unser Dorf durch die Eisenbahn geprägt wurde. In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts hielten die bewegten Zeiten im wahrsten Sinne des Wortes Einzug. „Erwägen Sie [bitte]“, heißt es im Generalbericht der Berlin-Hamburger Eisenbahndirektion für das Jahr 1847 „daß der erste Spatenstich bei Ludwigslust am 6ten Mai 1844 gethan worden ist und daß bereits am 15. Dezember 1846 unsere Locomotive Sie von Berlin nach Hamburg über das ununterbrochene Geleise geführt hat, so werden Sie dem Erbauer das Zeugnis nicht versagen, daß er die Zeit auszubeuten gewußt habe.“

Abb. 1: Paulinenaue auf einer nach dem Urmesstischblatt gezeichneten Karte (1874)

Abb. 1: Paulinenaue auf einer nach dem Urmesstischblatt gezeichneten Karte (1874)

Nun jedenfalls durchzieht nicht bloß ein blauer, sondern auch ein schwarzer Streifen die Karte von der Umgebung Paulinenaues. Der Gutsherr Friedrich Wilhelm von Knoblauch hatte 28 Morgen seines Landes für den Bau der Gleise hergeben müssen und alles in allem dafür mehr als 10.000 Taler Courant erhalten. Dennoch waren die guten Zeiten für die Gutsherrschaft nicht von großer Dauer. Einen schweren Schaden richtete im Jahre 1851 die Rinderpest in Paulinenaue an. Fast alle der 120 Kühe, die von Knoblauch hier hielt, gingen daran zu Grunde und es dauerte Jahre, bis sich der Hof davon erholte. Vielleicht hat auch Friedrich Wilhelm von Knoblauch selbst diesen Schlag nicht verkraftet. Ein Jahr darauf starb er und sein Sohn Curt wurde Paulinenaues neuer Patron.

Abb. 2: Die Ruppiner Straße 1, eines der typischen Bahnerhäuser (erbaut 1859)

Abb. 2: Die Ruppiner Straße 1, eines der typischen Bahnerhäuser (erbaut 1859)

Die Bahn gewann für Paulinenaue mehr und mehr an Bedeutung. Fast alle neuen Gebäude, die seit den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts hier gebaut wurden, ließ die Bahn bauen; fast alle neuen Einwohner des Dorfes waren Bahnerfamilien. Das war nicht nur von Vorteil für die Entwicklung des Dorfes. Da die Gutsherrschaft für die Armenfürsorge verantwortlich war und von Knoblauch befürchtete, in Paulinenaue einmal verarmte Bahnerfamilien ernähren zu müssen, sperrte er sich gegen wichtige Einrichtungen. Einen eigenen Friedhof sollte Paulinenaue erst erhalten, wenn die Bahn die Armenfürsorge für ihre Beschäftigten übernähme, den Bau einer eigenen Schule wollte Curt von Knoblauch erst dann unterstützen, wenn auch die Bahn sich daran beteiligen würde. Immerhin klappte es nach langem Hin und Her zumindest mit der Schule, die Ostern 1861 in einem von der Bahn errichteten Gebäude eröffnete. Der erste Lehrer hieß Hübner und war bettelarm. Er bekam nur 40 Taler Gehalt im Jahr und musste seine Mahlzeiten im Gutshaus am Tische des Inspektors einnehmen. Aber die Paulinenauer Kinder, schreibt der Pfarrer im Jahr der Schuleröffnung, sind „obwohl dem Tagelöhnerstande angehörend, … wohl gesittet und haben ihren Lehrer lieb.“

Abb. 3: Der Paulinenauer Bahnhof (ca 1918)

Abb. 3: Der Paulinenauer Bahnhof (ca 1918)

Wann wurde eigentlich der Bahnhof gebaut? Es zeigt sich, dass er in der Form, die wir kennen, gar nicht so alt ist, wie man denkt. Das erste Bahnhofsgebäude – der im Bild rechte Teil des Bahnhofs – wurde 1847 fertiggestellt, seinen imposanten Bahnhof erhielt Paulinenaue aber erst mehr als 30 Jahre später, nachdem die Paulinenaue-Neu-Ruppiner Eisenbahngesellschaft ihre Nebenstrecke eröffnet hatte und Paulinenaue Umsteigebahnhof geworden war.

Auch sie sollte nicht die letzte Eisenbahn bleiben, die durch Paulinenaue fuhr. Im frühen 20. Jahrhundert durchzog ein ganzes Netz von Feldbahnen das Luch, um Torf aus den Torfstechereien zu transportieren. 1900 eröffnete eine Kleinbahn nach Rathenow, die man die „Stille Pauline“ nannte. Unsere Bahnhofstraße ist ihretwegen im Ortskern zweispurig, die Kleinbahn befuhr einen der beiden Streifen. Schon 1924 verstummte die ohnehin schon Stille Pauline wieder. Wohl weil sie unrentabel war, baute man sie wieder ab. In Eisenbahnerkreisen wird erzählte, dass ihre Loks noch wenige Jahre vor der Wende in der ehemaligen Sowjetunion fuhren, wohin man sie als Reparationsleistung verschickt hatte.

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Text: Joachim Scholz; Abbildungen: (1) BLHA Potsdam, Nivellementsplan des Havelländischen Hauptkanals von A. Grunack (1874); (2), (3): Archiv der Gemeinde Paulinenaue.