Eine 400 Jahre alte Quelle informiert über die früheste Ortsgeschichte

Joachim Scholz

Stefan Lindemann, Archivwissenschaftler aus Potsdam, ist in Groß Behnitz aufgewachsen und ein begeisterter Ortschronist. Die Reihe seiner im Selbstverlag herausgegebenen „Beiträge zur Geschichte der Dörfer Groß und Klein Behnitz“ füllt mittlerweile eine stattliche Regalzeite. Manchmal stößt Stefan Lindemann bei seiner Archivarbeit auf Verbindungen zwischen der Behnitzer und der Paulinenauer Ortsgeschichte. Die folgende Geschichte entdeckte er im Selbelanger Gutsarchiv, das heute im Domstiftsarchiv Brandenburg verwahrt wird. Sie ist eine der ältesten, vielleicht sogar die älteste überlieferte Geschichte unseres Dorfes, festgehalten in einem Kammergerichtsurteil von 1589.

Damals hegten die adligen Herren der Dörfer Ribbeck, Selbelang, Retzow und Pessin Groll gegen Joachim von Bardeleben, der in Selbelang lebte und gemeinsam mit seinem Bruder Wiechmann eine Meierei vor dem Lindholz besaß: Bardelebens Meierei, das heutige Paulinenaue. Von Bardeleben hatte den Unmut der Nachbarn auf sich gezogen, weil er seit kurzem etwas neues, „eine Newerunge“ ausprobierte. Im Winter führte er das im Lindholz stehende Vieh in die Bardelebenschen Besitzungen nach Behnitz um es in den kalten Monaten dort zu versorgen und den Dung vor Ort zu nutzen. Im darauf folgenden Frühling dann brachte er es wieder zurück. Von der Meierei bis nach Behnitz sind es gute 12 Kilometer, man wird zu Fuß und mit dem Vieh jeweils vielleicht einen halben Tag unterwegs gewesen sein. So etwas ließ sich nicht verbergen. Die Nachbarn waren nun der Auffassung, dass ihnen die Wegbenutzung und Hütung des fremden Viehs auf ihren Gebieten zum Schaden gereiche. Sie klagten gegen Joachim von Bardeleben. Dabei gingen die Kontrahenten so weit, dass sie den Brüdern gar den Besitz des ganzen Hofes abspensig machen wollten. Doch was sich heute kein Paulinenauer bieten lassen würde, das ging auch von Bardeleben damals schon zu weit. Er verteidigte sich und wandte ein, dass den Viehhof sein Vater vor mehr als dreißig Jahren hätte erbauen lassen, um ihn dann ordentlich an seinen Bruder und ihn zu vererben. Außerdem sei durch das Vieh überhaupt kein Schaden entstanden.

Abbildung des Schauplatzes. Auf seinem Weg vom Lindholz nach Behnitz über Selbelang berührte von Bardeleben die Gemarkungen mehrerer Herren.

Abbildung des Schauplatzes. Auf seinem Weg vom Lindholz nach Behnitz über Selbelang berührte von Bardeleben die Gemarkungen mehrerer Herren.

Dass Quellen wie diese für die Ortschgeschichte großen Wert haben, versteht sich von selbst. Der Streitfall gibt uns aber nicht nur einen Hinweis auf das Alter von Bardelebens Meierei, die demnach in den 1550er Jahren errichtet wurde, sondern lässt blitzartig auch die Alltagswelt der damaligen Meiereibewohner aufscheinen.

In der Entscheidung durch die kurfürstlichen Brandenburgischen Kammergerichtsräte ist nämlich zum einen davon die Rede, dass Bardeleben das Treiben des Viehes zu unterlassen habe, dass die Brüder aber ihren Viehhof im Lindholz behalten sollten. Auf der anderen Seite sollte das Urteil dann aber auch dazu dienen, die Entwicklung des kleinen Ortes möglichst auf niedrigem Niveau zu halten, wohl um künftigen Konflikten vorzubeugen. Die Bardelebens durften den Hof in Zukunft weder erweitern, noch ihn allzu intensiv benutzen. Nur ein einziger Hirte solle fortan dort leben. Vor 400 Jahren war Paulinenaue also so etwas wie eine Einsiedelei.

Im Übrigen solle, so heißt es im Urteil weiter, in der Hütung und Bewegung des Viehes auf dem Hof ganz so verfahren werden, wie es der Vater einst handhabte und wie es durch ihn auf die Brüder gekommen sei. Das Vieh solle so weiden und sich bewegen, wie das Vieh der Nachbarn weide und bewegt werde. Dann werde es auch bald wieder Frieden geben und „alle Irrungen und wiederwillen … zwischen genandtten Partheienn bißhero gewesen, gentzlich vorglichenn unnd aufgehoben sein“.

Für den, der alles noch einmal im Original lesen möchte, folgt hier die durch Stefan Lindemann angefertigte Aktenabschrift:

Kammergerichtsurteil im Streit um das Weiderecht der Gebrüder v. Bardeleben und das Treiben des Viehs von ihrem Viehhof am Lindholz nach Behnitz, 1589 (Fr nach Trinitatis):

„Nachdem die vonn Ribbeck, Erichsleben, Knobeloch, Retzow unnd Selow zue Ribbeck, Selbelangk, Retzow unnd Peßinn sich uber Joachim Bardelebenn zue Selbelangk beschwerett, daß Er das Viehe aus seinem Viehe-Höffe vor Selbelangk, am Lindtholtze gelegenn, denn Winter uber gegen Benitz thette und außfutertte, und darnach denn Sommer wieder nach Selbelangk in die gemeine Huetunge nehme, Weil aber solches eine Newerunge, die Ihnen wegenn der Ubertrifft und Huttunge zue schadenn gereichett, das Er davonn abstehenn wolte, gesuchtt, Daneben auch denselben Viehe-Höff gefochttenn, Darkegenn Bardeleben, das Er das Viehe des Winters uber alleine wegen der Mistunge zue Benitz hielte, unnd den andernn dahero Kein schadenn zuegefuft wurde; Denn Viehehöf aber belangendtt, hette sein Vater den mehr Alß vor Dreißigk Jharenn erbawet und uf Ihn und seinen Brueder vorerbett, Sie den auch bißhero in besitz gehabtt, Unnd was bei beiden Puncten vonn einem und dem andern Theil mehr angetzogenn wurden, einbrachtt. Als habenn die Churfurstliche Brandenburgische Cammergerichts-Rethe Bardeleben dohinn behandeltt, dass Er das Hinn und wieder treibenn des Viehes Wintters- und Sommers-Zeitt nach Benitz unnd Selbelangk guettlich eingestaltt;

So behalten Joachim unnd Weichman die vonn Bardelebenn ungehindert den Viehe-Höf vorm Lindtholtze, wie sie denn vonn Ihrem Vater ererbett. Doch sollen sie den ferner nicht erweittern, noch gemeiner Huetunge zue abbruch altzu ubermeßigk Viehe Hinschlagen, Auch allein einen Hirtenn aldo Halten und aus solchem Höffe der Trift und Huetunge sich dermaßen und anders nicht gebrauchen, Alß wie Ihr Vater die gehabtt, gebrauchet unnd uf sie bracht hatt, Unnd sie dessen bißhero berechttiget gewesen, Auch mit dem treibenn und Huetenn den benachbartenn ann Ihren Hewgraße, Vhor- und Nachmathe, es liege im Schwade oder stehe im Hauffen, keinen schadenn zuefuegen, noch die gemeine Weide vorterbenn lassen, Sondern es Hierinnenn wie die andere Ihre Nachbarnn, so der Huetunge derer Ortter befugt, Halttenn;

Und sollen hirmit alle Irrungen und wiederwillen, so der Ubertrifft, Viehe-Hofes und anders halben, wie obstehett, zwischen genandtten Partheienn bißhero gewesen, gentzlich vorglichenn unnd aufgehoben sein. Urkundtlich mit dem Churf. Cammergerichts-Siegell besiegeltt. Actum Coln an der Sprew, Freitags nach Trinitatis Anno etc. 89.“

 

Quelle: Domstiftsarchiv Brandenburg; Gutsarchiv Selbelang (SeH), Nr. 48: Streitsachen und Verträge über Gerechtigkeiten, 1589-1593; Abbildung: Accurate Situations-Carte des grösten Theils vom Havellaendischen Creise in der Mittel-Marck Brandenburg. (ca. Mitte 18. Jh.). In: BLHA in Potsdam.