31.03.2023. Dass Züge mitten durch das Dorf fahren, ist für Paulinenauer nichts Außergewöhnliches, im Gegenteil. Dutzende Züge durchqueren täglich das Havelländische Luch. Manche im Ort, zum Beispiel die Bewohner des früheren Postgebäudes, wohnen nur wenige Meter von den Gleisen entfernt und dürften jede Durchfahrt nicht nur hören, sondern fühlen. An anderen Stellen, wie von meinem alten Kinderzimmer aus, heben sich die Schnellzüge im Dämmerlicht sehr eindrucksvoll vor dem Wald ab. Als Kind fragte ich mich vor dem Einschlafen oft, wer da jetzt wohl gerade durchrauscht und wohin die Leute so spät noch unterwegs sind.
Das ist lange her und doch brandaktuell, denn heute Mittag gab es auf die alte Frage plötzlich eine ungewöhnliche Antwort. Um 11.41 Uhr meldete die Süddeutsche Zeitung, dass in Berlin das britische Königspaar im ICE nach Hamburg Platz genommen habe. War es der verspätete Zug, der 11.38 vom Hauptbahnhof abfährt, oder der von 12.05 Uhr? Wenig später jedenfalls muss King Charles, der gerade auf Staatsbesuch in Deutschland ist, mit seiner Frau Camilla durch Paulinenaue gefahren sein.
Charles ist übrigens nicht der erste durchreisende Monarch in der Geschichte von Paulinenaue. Als Kaiser Friedrich Wilhelm II 1902 zur Denkmalseinweihung nach Fehrbellin fuhr, überlieferte ein preußischer Beamter folgende Anekdote:
„Bei dem Anblick der Wasserflächen – es standen damals größere Teile des Luches vollständig unter Wasser – fragte der Kaiser nach dem Namen des Gewässers. Als ihm von Hahnke mitteilte, es sei das kein Gewässer, sondern das überschwemmte havelländische Luch, gab der Kaiser seinem Erstaunen darüber Ausdruck, wie es überhaupt möglich wäre, daß sich in der Nähe der Reichshauptstadt ein derartiges Luchgebiet in einem so unkultivierten Zustande befinden könne.“
Was Charles und Camilla heute dachten, als sie das Havelländische Luch durchreisten, wissen wir (noch) nicht. Eine kurze Umfrage unter den Mitgliedern des Kulturvereins ergab, dass die Paulinenauer selbst eher unbeeindruckt von dem Ereignis waren. „Müssen wir dann eine Gedenktafel am Bahnhof anbringen?“ fragt Eberhard, Heide „habe keine royalen Gedanken“ anlässlich der Durchfahrt gehabt. Sie findet „King und Queen sind aus der Zeit“. Auch Helga hat den König verpasst. Vor ein paar Jahren jedoch, bei der Durchfahrt der Kinder, habe sie mit einem Plakat am Fenster gestanden. „Aber es geht ja so schnell. Meine Großmutter stand auch immer am Feldrand und hat dem Zug gewunken.“ Am Fenster mit einem Laken winkten auch meine Eltern bei meiner erster ICE-Fahrt nach Hamburg. Charles wäre neidisch, wenn er das wüsste.
Zugdurchfahrten durch Paulinenaue sind auch in meiner Erinnerung verankert. Zum einen winkte ich der durchfahrenden Großmutter zu auf ihrer gelegentlichen Fahrt von Ludwigslust nach Berlin Lichtenberg und retour. Dazu standen meine Mutter und ich am Ortsausgang an der Brädikower Straße.
Im Teenageralter dann entfachten in mir die Schnellzüge Fernweh, ic fuhr in Gedanken oft mit. Nun begab es sich ab und an, dass ein D-Zug auf freier Strecke hielt, so geschehen in meiner Erinnerung auf der Höhe der alten Post im Frühsommer 1983. Neugierig schaute ich zu den Reisenden, die wiederum ihrerseits aus den Fenster lehnten und schauten, darunter auch Armisten – einen lernte ich 10 Jahre später tatsächlich kennen (inzwischen führten mich die Wege und Gleise heraus aus unsererm Ort und Land) und wir sind seit über 28 Jahren verheiratet – . Meinem späterem Mann gefiel seinerseits der schöne Ortsname ‚Paulinenaue‘.