18.11.2004
Teil 6
Von Angelika Kellner
1945 bis 1990
An die Jahre von 1945 bis 1990 haben die meisten Paulinenauer noch eigene Erinnerungen. Nach Kriegsende veränderte sich in Paulinenaue vieles. Neben Bodenreform und Zuwanderung von Menschen, die ihre Heimat verloren hatten, war die Ankunft eines Mannes im Ort von entscheidender Bedeutung.
Professor Eilhard Alfred Mitscherlich hatte am Beginn des 20. Jahrhunderts als erster eine brauchbare mathematische Formulierung für die Gesetze der Ertragsbildung und damit internationale Anerkennung gefunden. Nach seiner Emeritierung an der Universität Königsberg 1941 übernahm er die Leitung des Familiengutes Kutschlau bei Schwiebus im damaligen Ostbrandenburg. Hier arbeitete er auch wissenschaftlich weiter, um seine Erkenntnisse und Methoden der Bodenuntersuchung in der Praxis zu breitem Durchbruch zu verhelfen. Doch bereits nach vier Jahren zwangen die Kriegsereignisse den inzwischen 70jährigen Mitscherlich Ende Januar 1945 zur Flucht.
Seine Begleiter waren seine Frau sowie die Familien Exner, Vierjahn, Drescher, Fritsch und Heinze. Sie kamen bis Sieversdorf bei Neustadt/Dosse, wo sie das Kriegsende abwarteten. Professor Mitscherlich hatte schon die Genehmigung zur Rückkehr nach Kutschlau, doch letztendlich und zum Glück für unser Dorf, landete der Treck am 27. Juli 1945 in Paulinenaue. Mitscherlich ging dann nach Berlin an die Humboldt-Universität, sah jedoch dort keine Möglichkeit, seine langjährigen Forschungsergebnisse der Praxis, und das hieß vornehmlich der Bekämpfung des Hungers, nutzbar zu machen. Er unterbreitete deshalb der Akademie der Wissenschaften den Vorschlag, ein neues Forschungsinstitut in einem größeren Landwirtschaftsbetrieb zu schaffen. Für ihn kam nur Paulinenaue in Frage. Hier gab es geeignete Gebäude und Böden und die Nähe zu Berlin. Er fühlte sich wohl in diesem Ort, da die Umgebung an Kutschlau erinnerte, und vor allem lebten seine Gutsleute noch immer hier. Trotz großer Schwierigkeiten wurde das Gut Paulinenaue schließlich am 31. Mai 1949 von der Sowjetischen Militäradministration an die Akademie übergeben und Mitscherlich am folgenden Tag zum Direktor des neu gegründeten „Instituts zur Steigerung der Pflanzenerträge“ berufen.
Hier wurde nun Grundlagenforschung über die Wirkung der einzelnen Wachstumsfaktoren, insbesondere des Pflanzennährstoffs Stickstoff betrieben, mit dem Ziel, so schnell wie möglich wieder an die Friedenshektarerträge heran zu kommen. 1950/51 wurde die Gefäßstation gebaut und 1954 ein Laborgebäude. Am 3. Februar 1956 starb Professor Mitscherlich 82jährig. Sein Grab ist auf dem Paulinenauer Friedhof.
Das Institut wurde 1957 von der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften übernommen und seine Aufgabenstellung wesentlich erweitert. Es bekam den Namen „Institut für Grünland- und Moorforschung“. Zum Direktor berief man Professor Asmus Petersen von der Universität Rostock.
Petersen formulierte die Aufgaben mit dem griffigen Motto „Vom Fließen des Wassers bis zum Fließen der Milch“. Vor allem aber entwickelte er das Versuchsgut zu einem grünlandreichen Beispielbetrieb. Petersen war nicht nur e in anerkannter Wissenschaftler auf den Gebieten Pflanzenbau, Tierzucht und Betriebslehre; zusätzlich verstand er es, s eine Mitarbeiter, Studenten und Zuhörer zu begeistern. Das Foto, das Georg Drasché aufgenommen hat, zeigt dies eindrücklich.
Völlig unerwartet starb Asmus Petersen am 6. Januar 1962, nur 62 Jahre alt. Auch er liegt auf dem Paulinenauer Friedhof begraben. Sein Nachfolger war Professor Eberhard Wojahn, zunächst bis 1968 und dann von 1978 bis 1987. Ansonsten führten die Professoren Kreil, Thöns und Wacker das Institut. 1972 wurde es in „Institut für Futterproduktion“ umbenannt, da sich die Aufgabenstellung wiederum erweitert hatte. Es entstanden 1968 das neue Institutsgebäude, 1971 das Klimahaus, 1976 zwei Gewächshäuser und 1977 das Sozial- und Mehrzweckgebäude. 1987 konnte dann noch das neue Laborgebäude seiner Bestimmung übergeben werden.
Die zahlreichen Veränderungen in der Landwirtschaft seit der Bodenreform sollen hier nur am Beispiel der 2000er Milchviehanlage illustriert werden. Sie wurde 1974 in Betrieb genommen. Die Zahl der Paulinenauer Einwohner stieg von Kriegsende bis 1990 stetig an, so dass viele Wohnungen gebaut werden mussten.
In den 60er Jahren entstanden viele Wohnblocks. Auch Schulwesen und Kinderbetreuung entwickelten sich. Der Kindergarten im Lindenweg wurde 1968 vom Institut errichtet. 1976 war die neue Schule in der Bahnhofstraße fertiggestellt, so dass alle Kinder bis zur 10. Klasse am Ort unterrichtet werden konnten. Mit der Einweihung der Turnhalle 1982 entstanden zudem gute Bedingungen für den Schulsport und die Sportgruppen des Paulinenauer Sportvereins. Seit 1950 gibt es in unserem Ort eine Gemeindebibliothek. Als ländliche Zentralbibliothek wurde sie in den 80er Jahren in einem alten Bahnergebäude geführt. In mehreren Räumen war hier ein umfangreicher Buchbestand untergebracht, häufig fanden in der Bibliothek auch kulturelle Veranstaltungen statt.
Hier geht es weiter zum letzten Teil.
Text: Angelika Kellner; Abbildungen: (1) Institutsarchiv, (2, 3, 4) Georg Drasché.
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