Zu Besuch am letzten Öffnungstag

Am Samstag, dem 28. Juni 2003, war die Fleischerei Herbert Schröder („Mulle“) zum letzten Mal für ihre Kundschaft geöffnet. Nach 72 Jahren wird das traditionsreiche Familienunternehmen an den „Märkischen Hof“ Selbelang übergeben, der wahrscheinlich schon im Juli den Fleischereibetrieb wieder aufnehmen wird.

Die Fleischerei Herbert Schröder einen Tag nach ihrer Schließung. Wohl schon im Juli wird das Geschäft vom „Märkischen Hof“ Selbelang übernommen. Foto: J. Scholz, 2003.

Der letzte Öffnungstag als Thema im „Fotoforum Paulinenaue“

Der Betriebsübergabe bei Fleischer Schröder waren auch zwei Beiträge des „Fotoforums Paulinenaue“ gewidmet. Das Fotoforum war eine Mailingliste, die zwischen 2003 und 2014 in wöchentlichen Sendungen Geschichten aus dem Paulinenauer Dorfleben erzählte und diskutierte. Meist leitete eine Quizfrage zur nächsten Sendung über. Sendung 46 vom 02.07.2003 porträtiert Familie Schröder am letzten Öffnungstag, in Sendung 47 vom 09.07.2003 war das charakteristische Schaufenster der Fleischerei Thema.

02.07.2003 (JS): Das Ereignis, dem wir uns heute zuwenden, gehört einmal mehr zu jenen Denkwürdigkeiten, die lebhafte Erinnerungen in den meisten Paulinenauern wachrufen werden, sofern sie sich nicht gerade zum Kreis der Vegetarier zählen. Nach vielen Jahren tritt Fleischermeister Herbert Schröder seinen wohlverdienten Ruhestand an und schließt die Tür des Ladens in der Ruppiner Straße. Am Wochenende konnte man ihn schon bei einem Feierabendbier in Krügers Kneipe antreffen, wo ihm von vielen Seiten Grüße und herzliche Zukunftswünsche entgegengebracht wurden. In aller Ruhe will er, wie er da sagte, den neuen Lebensabschnitt angehen. Auch das Fotoforum wünscht dafür alles Gute!

Familie Schröder am letzten Öffnungstag ihrer Fleischerei (28.06.2003). Foto: J. Scholz.

Die Fleischerei Herbert Schröder bestand als Familienbetrieb seit mehr als siebzig Jahren. Das Bild der heutigen Sendung zeigt die am letzten Öffnungstag versammelte Familie und es sind darauf noch einmal all die zu erkennen, die wir in Zukunft hinter dem Ladentisch vermissen werden. Leer sind schon die Wände, an denen einst S-förmige Haken Fleisch- und Wurstwaren trugen. Beim Fleischer gab es immer Beeindruckendes zu betrachten, tieranatomische Details, wie zum Beispiel eine Schale mit Gehirn, oder Rinderzungen – alles Dinge, die ich mit leichtem Grausen hier zum ersten Mal gesehen habe. Als letzter Kunde verließ ich nun am vergangenen Samstag das Geschäft, am letzten Hackepeterbrötchen kauend – dem leckeren Hackepeter, dem wohl kaum jemand so nachtrauern wird wie Konstanze Mietz, die man oft darüber schwärmen hörte. Dabei sei am Hackepeterrezept gar nichts Besonderes, erklärt Frau Schröder. Eher das, was daran fehlte, hätte die Unverwechselbarkeit des Geschmacks garantiert. Von den neuen Würzsalzen, mit denen die Fleischer hierzulande nach der Wende Bekanntschaft schlossen, waren Schröders nie begeistert. Sie verfeinerten ihre Produkte weiter nach der alten Art und vertrauten auf die Frische des Fleisches. In den Bereich des Traditionellen gehört auch der Spitzname unseres Paulinenauer Fleischers: „Mulle“. Schon als Kind wurde Herbert Schröder so genannt.

Und zur Quizfrage schließlich kommt mit dem Schaufenster des Fleischereigeschäftes noch einmal eine besondere Attraktion zur Sprache. Eine immer gut gelaunte Tiergruppe ziert die Kachel- und Blumenlandschaft, die dort aufgebaut ist. Um welche Spezies aber handelt es sich dabei:

a) um ein Schwein, eine Kuh und einen Puter,
b) um zwei Schweine und eine Kuh,
oder c) um drei Schweine?

Die Schweinchen im Schaufenster der Fleischerei Schröder

Schweinchen im Schaufenster der Fleischerei Schröder. Foto: J. Scholz, 2003.

09.07.2003 (JS): Herzlich willkommen zur Sendung 47. Heute wird Geschichte geschrieben, erhält doch das Fotoforum wieder einmal die dankbare Funktion, bildgewordene Erinnerungen zu konservieren. Schon sind die drei Kameraden, nach denen beim letzten Mal gefragt worden ist und die es nun zu betrachten gibt, ihrem angestammten Platz entnommen worden. Eberhard Schwarz hat zur Lösung der Wochenfrage noch einmal den Weg zum Fleischer angetreten und machte dort eine traurige Entdeckung: „Wer zu spät kommt, sieht ein leeres Schaufenster“, schreibt er im Fotoforum. Weiter bemerkt er: „Ich bin jetzt zusammen mit meiner Frau seit März 1981 Paulinenauer Bürger, aber das Fotoforum lehrt, dass nicht die Jahre allein zählen. Für viele Mitstreiter des Forums, die hier aufgewachsen sind, besteht eine besondere Bindung zu Paulinenaue.“ Mit dieser Meinung, die ja gewissermaßen den Gründungsmythos des Fotoforum wiedergibt, steht er tatsächlich nicht allein da. Dass Paulinenauer Alltäglichkeiten – in diesem Falle die Gipsschweinchen des Fleischers – Gefühle der Rührung aufsteigen lassen können, beweist auch die Zuschrift von Karsten Schulze. Die Tiere, die immerhin seit Vorkriegstagen in Schröders Diensten standen und sogar schon eine Restaurierung erfahren haben, sind Karsten als „freundliche Viecher“ in Erinnerung und er bekennt: „Die Schaufensterdeko hat auch mich schon in frühester Jugend in ihren Bann gezogen.“