08.03.2005
Erster Teil
Helmut Fritsch ist so etwas wie ein Paulinenauer Urgestein, doch lebt er nicht seit eh und je in unserem Dorf. Er gehört zu den „Kutschlauern“, die nach dem zweiten Weltkrieg im Gefolge Prof. Mitscherlichs aus Ostbrandenburg ins Havelland zogen. Ursprünglich für ein Schulprojekt und nun für unsere Internetseite erzählt Helmut Fritsch seine Erinnerungen an Kutschlau, die Zeit der Vertreibung und seinen Weg nach Paulinenaue, wo er eine neue Heimat gefunden hat.
Ich wurde am 21.3.1924 in Kutschlau, einem Dorf im Kreis Züllichau-Schwiebus, geboren. Unser Dorf gehörte zum östlichen Teil der Mark Brandenburg und liegt ca. 75 km östlich von Frankfurt an der Oder, also in einem Gebiet, aus dem nach Kriegsende alle Deutschen vertrieben wurden.
In Kutschlau bin ich zur Schule gegangen und habe schon als Kind meinen Eltern im Rahmen meiner Kräfte in der Landwirtschaft geholfen. Denn sie bewirtschafteten beide einen 12 ha Bauernhof. Im 10. Lebensjahr wurde mir von der Schulleitung angeboten, nach Schwiebus zum Gymnasium zu gehen und eine höhere Schulbildung anzustreben. So wurde ich schon in jungen Jahren vor eine Entscheidung gestellt. Aber meine schon mithelfende Tätigkeit in der elterlichen Landwirtschaft und das gute Verhältnis zu meinen Eltern ließen mich den Weg zum landwirtschaftlichen Beruf gehen, der besonders in den ersten Kriegsjahren bis zur Einberufung zum Kriegsdienst hohen Einsatz von mir forderte.
Zu Anfang des Krieges erlitt mein Vater einen schweren Unfall und der Onkel mußte in den Krieg. So mußte ich dann auch in dessen Landwirtschaft mithelfen. Am 2. Dezember bis zum Kriegsende mußte ich in den Kriegsdienst. Während dieser schrecklichen Zeit war ich einmal schwer krank und wurde 2 Mal leicht verwundet, kam im Mai 1945 in amerikanische Gefangenschaft bei Schwerin und später nach Schleswig Holstein. Hier habe ich nun erfahren, daß meine Heimat schon Ende Januar 1945 von den Russen überrannt wurde und meine Eltern dort verblieben waren. Da in dieser Zeit winterliche Bedingungen mit Glatteis geherrscht hatten und der Vormarsch der russischen Truppen so schnell erfolgt war, hatten sie nicht mehr flüchten können und mußten dann unter der Besatzung arbeiten, Vater kam im April auch noch in ein Arbeitslager.
Uns wurde im Gefangenenlager mitgeteilt, daß aus den Gebieten östlich der Oder alle Deutschen vertrieben wurden. So wurde mir bewußt, du hast also keine Heimat mehr. Im Juni 1945 wurden schon viele meiner Kameraden, die in den westlichen Besatzungszonen ihre Heimat hatten, entlassen. Aber uns, die wir im Osten, in dem russisch besetzten Gebiet zu Hause waren, wurde die Möglichkeit gegeben, uns zur Arbeit in der Landwirtschaft in den westlichen Zonen zu melden. Dies habe ich auch sofort getan, und so wurde ich schon am 12. Juli 1945 entlassen und kam nach Holdorf in Oldenburg. Mir wurde eine Arbeit in einer kleinen Landwirtschaft … zugewiesen. Meine Unterkunft war ein kleines Kämmerlein auf der Diele neben zwei Ochsen. Aber ich war ein freier Mensch und hatte satt zu essen. Nur eine große Sorge quälte mich, wo sind meine Eltern?
Im November suchte ich mir eine neue Arbeitsstätte ganz in der Nachbarschaft. Hier erhielt ich eine bessere Unterkunft. Ich konnte auch bei der täglichen Arbeit mit Pferden arbeiten und mußte mich nicht mehr mit Ochsen herumquälen. Hier blieb ich dann bis November 1948. Im Dezember 1945 erhielt ich dann über Verwandte aus Berlin die Nachricht, daß meine Eltern noch leben, sie im November mit einem Flüchtlingstransport durch Berlin gekommen seien und weiter nach Mecklenburg transportiert worden waren. Das war das schönste Weihnachtsgeschenk für mich. Ich erhielt auch bald von ihnen ein Lebenszeichen. Mein Wunsch und auch der meiner Eltern war, daß wir recht bald wieder gemeinsam zusammen sein wollen. Aber im zweiten Brief von meinem Vater teilte er mir mit: „Hierher nach Mecklenburg brauchst du nicht zu kommen, denn hier festzusitzen ist eine Versklaverei auf Generationen und keine Heimat für uns.“
So hat mein Vater im Jahre 1946 alles versucht, von dort wegzukommen. Auf dieser Suche nach einer neuen Heimat mit Arbeit und Wohnung führte es ihn auch nach Paulinenaue, denn hier waren die [Kutschlauer] Familien Spieß-Drescher, Exner und Rohmann. Mit deren Unterstützung gelang es ihm, Arbeit und eine kleine Wohnung auf dem von der russischen Besatzungsmacht geleiteten Gut zu finden.
Ende Oktober begann die Vertreibung. In Schwiebus wurden alle von den Polen geplündert. Es wurde [ihnen] alles, Papiere, Wertsachen bis auf ein paar kleine Habseligkeiten abgenommen. Sie hatten also nichts mehr. Vater hat sie dann im November in Ulrikenhof im Kreis Bützow wiedergefunden.
Noch kurz zu den Erlebnissen meiner Eltern u. Bruder von Januar 1945 bis Oktober 1945 unter der russischen, später polnischen Besatzung in der alten Heimat. Mein Vater wurde im April weggeholt, kam in ein Internierungslager nach Schwiebus und später nach Posen. Meine Mutter und alle anderen Verwandten mußten in dieser Zeit in Kutschlau unter der Besatzungsmacht bei der Eintreibung der Ernte arbeiten, das war die einzige Möglichkeit, ein Stück Brot zu erhalten.
Text und Fotos: Helmut Fritsch, Paulinenaue.
Lesen sie [hier]Helmut Fritsch: „Wie ich in Paulinenaue eine neue Heimat gefunden habe.“ (Teil 2)
Hinterlasse einen Kommentar