Multimediale Lesung mit Geralf Pochop unter dem Motto „Zwischen Aufbruch und Randale – Der Wilde Osten in den Wirren der Nachwendezeit“

Die erste und mit 96 Jahren älteste Besucherin zur Lesung am 19. September 2025 traf schon kurz nach 16 Uhr ein. Eugenie Selent nutzte die Gelegenheit, mit einer Mitarbeiterin der Tagespflege anzureisen. „Wenn was in Paulinenaue los ist, bin ich dabei“ sagte sie, als sie mit ihrem Rollator in Richtung Kirche lief und sich dann davor in die wärmende Sonne setzte. Die nächste Besucherin, Charlotte von der Waydbrink, war mit noch nicht mal einem halben Jahr die jüngste Besucherin und wurde im Kinderwagen von ihrem Papa gefahren. Beide haben die multimediale Lesung von Geralf Pochop bei guter Laune und mit großem Interesse mit weiteren fast 50 Besucherinnen und Besuchern bis zum Schluss verfolgt.

Jung und Alt kommen ins Gepräch. Die 96jährige Frau Selent und eine der jüngsten Paulinenauerinnen aus der Familie Waydbrink. Foto: E. Schwarz, 2025.

Dann füllte sich der Bereich vor der Kirche recht schnell. Die leckere Wildbratwurst war schnell aufgegessen, ein Getränk genommen und dann sollte es aber auch endlich losgehen mit der Lesung und Live-Musik. Nach der Lesung aus seinem Buch im April, in der es um die Punk-Szene in der DDR ging, wurde nun in die Wendezeit und kurz danach eingetaucht. Geralf Pochop, der aus der DDR ausgewiesen wurde und dann in Berlin-Kreuzberg lebte, glaubte am 9. November 1989 der Berichterstattung in den Medien nicht gleich, dass die Mauer gefallen ist: „Heute würde man sagen, dass ich dachte, es seien Fake-News“, so Pochop. Relativ schnell zog er dann in seine Heimatstadt Saale zurück. „Es war eine so tolle Aufbruchstimmung Anfang der 1990er Jahre, wir konnten so viel verändern“ und „mit der Punk-Szene im Westen sind wir nicht richtig warm geworden“, so sinngemäß seine Worte.

Sebastian Schmidt, auch „Alüt“ genannt, sorgte dann mehrfach für ordentlich Lärm mit typischem Gesang zu Punkrock von seiner E-Gitarre. „Egon, warum hast du so große Zähne?“ ist ein Textbaustein, der mir noch in Erinnerung ist und auch akustisch verstanden wurde. Es waren Lieder von bekannten DDR-Punkbands wie Schleimkeim, die mit ihren Texten die Lesung umrahmten und Aufschluss über die damalige Stimmung in der Szene geben konnten.

Die zweite Lesung mit Geralf Pochop zog ca. 50 Gäste in die Kirche nach Paulinenaue. Ein voller Erfolg. Foto: V. Franklyn, 2025.

Pochop berichtete von seinem Start in der Wendezeit mit einem Plattenladen in Halle und eigenem Musiklabel des Punk-Labels Schlemihl-Records.
Sein Blick auf die sogenannten „Baseballschlägerjahre“ und die Schilderung von brutalen Angriffen aus der rechten Szene, die viele junge Menschen mit ihrem Leben bezahlen mussten, berühren tief.

Zur Verwunderung wohl fast aller Zuhörenden erzählte er Episoden vom Besuch der Punker auf Werbeveranstaltungen für Rentner und über das Einfordern des Kuchens und der versprochenen Werbegeschenke vom „Lama-Decken-Verkäufer“. Besuche bei Konzerten von Achim Mentzel und über gemeinsame Unternehmungen mit ihm regten ebenso zum Schmunzeln an.

Viele Gäste nahmen das Angebot des Kulturvereins an und kamen etwas früher, um bei Kaltgetränk und Wildbratwurst das schöne Wetter zu genießen und zu plaudern. Foto: E. Schwarz, 2025.

Sehr interessant waren seine Ausführungen zur Punk-Szene in Asien. Hier lebt man den Grundgedanken des kritischen Umgangs mit dem Regime u.a. in China und Myanmar aktiv und setzt sich damit großer Gefahr aus. Auf die Frage von einem Besucher, weshalb man momentan nur noch selten einen „offensichtlichen Punk“ auf der Straße sieht, sagte Pochop, dass seiner Meinung nach die jungen Leute heute andere Musik- und Lebensstile nutzen, um ihren Unmut zu äußern. Aber vielleicht gäbe es auch einfach nicht mehr so viele Punks heute. Ja auch hier gibt es wohl „Fachkräftemangel“.

Text: Eckhard Vierjahn und Valentin Franklyn