Joachim Scholz

Spärlich ist die Überlieferung aus den frühen Tagen unseres Dorfes. In den Jahren, als Paulinenaue noch als Bardelebens Meierei ein winziges Vorwerk von Selbelang war, wird es lediglich als ein Fleckchen erwähnt, das bei den Grabenschauen im Kanal für Ärger sorgte. Herr von Bardeleben kümmerte sich oft genug zu wenig um die Krautung des Grabens und wurde mehr als einmal für seine Nachlässigkeit gerügt.

Dann kommt die Bahn und Paulinenaue erhält einen Haltepunkt. Warum man ihn ausgerechnet an dieser Stelle errichtet hat, ist ein bislang ungelöstes Rätsel der Ortsgeschichte. Nur etwa zehn Gebäude zählte das Dorf, lohnte da die Errichtung eines eigenen Bahnhofs? Schwierigen Fragen wie dieser geht man am besten in Archiven nach und tatsächlich findet man in den Akten zum Eisenbahnbau einige Anhaltspunkte.

Im Februar 1844 hatte sich die Berlin-Hamburger Eisenbahngesellschaft entschieden, die Bahn nicht über Kremmen, sondern weiter südlich durch den Westhavelländischen Kreis zu führen. Alle Gutsbesitzer der Gegend erhielten in diesen Tagen ein Schreiben der Gesellschaft, in dem sie gefragt wurden, ob sie für den Fall der Südvariante zu entgegenkommenden Leistungen bereit wären. Man dachte an die kostenfreie Bereitstellung von Holz, Boden oder Naturalien. Doch die Skepsis gegenüber dem unbekannten Verkehrsmittel überwog. Herr von Ribbeck auf Ribbeck zum Beispiel begründete seine Ablehnung damit, „daß diese Eisenbahn, selbst wenn sie meine Ribbecker Grundstücke berührt, dem Gute doch keinen reellen Vortheil, sondern mir selbst nur persönliche Annehmlichkeiten [brächte] und für letztere mag ich keine Opfer von meinem Gute fordern.“ Auch Berge, Lietzow, Selbelang, Brädikow und Warsow lehnten mit ähnlichen Argumenten ab.

Ein einziger Gutsbesitzer auf der Strecke zwischen Nauen und Friesack schwimmt damals gegen den Strom. Friedrich Wilhelm von Knoblauch aus Pessin wittert eine Chance und entschließt sich zu einem mutigen Schritt. Mit gutem Grund kann man annehmen, dass mit seinem Antwortschreiben vom 13. März 1844 die Weichen für die spätere Entwicklung Paulinenaues gestellt wurden. Von Knoblauch schreibt an den Landrat:

„Auf Ew. Hochwohlgebohren geehrtes Schreiben vom 3. Mts., wegen der Berlin-Hamburger Eisenbahn, beehre ich mich ergebenst zu erwidern, dass wenn ich auf meiner Feldmark Paulinenaue, einen Anhaltepunkt bekommen könnte, nicht abgeneigt bin, in Betreff dieser, der Eisenbahn-Direction Anerbietungen zu machen.“

Die Planungen beginnen. Im Dezember ist die Sache schon beinahe in Sack und Tüten. Friedrich Neuhaus, der oberste Baumeister der Bahn, berichtet am Silvestertag über den Stand der Dinge:

„Ich habe vorgeschlagen, bei Friesack einen Bahnhof, und bei Paulinenaue oder auf Selbelanger Territorio, in der Nähe von Paulinenaue einen Anhaltepunkt anlegen zu lassen, und die Direction ist diesem Vorschlage beigetreten.“

Der Unterschied zwischen einem Bahnhof und einem Anhaltepunkt bestand lediglich darin, dass Fernzüge zwischen Berlin und Hamburg nur an Bahnhöfen hielten, den Anhaltepunkt jedoch durchfuhren. 1846 wird in unserer Gegend gebaut, im Juli fahren die ersten Lokomotiven, doch die Errichtung des Bahnhofsgebäudes verzögert sich noch bis zum Mai 1847. Als einer der letzten Hochbauten auf der gesamten Strecke wird für den Paulinenauer Bahnhof die Baugenehmigung erteilt. Der Friesacker Baumeister Raetzel leitet die Ausführung des Planes von Friedrich Neuhaus.

 

Bahnhof Paulinenaue 1853

Der Paulinenauer Bahnhof ca. 1853; © Museum für Hamburgische Geschichte.

Was entsteht, ist ein klassizistisches Gebäude, das sich kaum von den anderen auf der Strecke unterscheidet. Aber für Paulinenaue bedeutet der Bahnhof den Einzug der Moderne. Sechs Mal täglich hält ein Personenzug, zudem passieren jeden Tag zwei Güterzüge den Ort. Bis Berlin fährt man mit der Bahn eine Stunde, bis Friesack eine halbe. Im Vergleich mit früheren Transportmitteln war das eine Revolution. Frank Lecouvreur, ein US-amerikanischen Weltenbummler, hält eine Fahrt mit der Eisenbahn von Berlin nach Hamburg in seiner Reisebeschreibung „Von Ostpreußen nach Golden Gate“ fest.

Am 13. April 1851 war Lecouvreur früh aufgestanden. Er hatte Berlin um 7.30 Uhr verlassen und war über Spandau mit der Eisenbahn nach Hamburg unterwegs. Sein Reisegefährte Olias und er trugen je 50 Pfund Gepäck bei sich, mehr war auf der Bahn nicht erlaubt. Das schwerere Gepäck hatten sie tags zuvor bereits nach Hamburg geschickt. Sie fuhren 3. Klasse, das Billet kostete vier Taler und fünf Silbergroschen, umgerechnet drei Dollar. Von Spandau zeigte sich der Frühaufsteher noch begeistert. Er sieht vom Zug aus das schillernde Wasser der Havel, bewundert weißsegelige Boote und den vielfältigen Schiffsverkehr auf der Havel. Alles wirkte angenehm frisch. Doch dann erreicht der Zug die Luchflächen des Havellandes:

„Nachdem wir Spandau verlassen hatten, bemerkten wir einen entschiedenen Wandel zum Schlechteren. So weit das Auge reichte, sah man Felder, Felder und nichts als Felder und prärieähnliche Monotonie. Auch die Feldfrüchte sahen erbärmlich aus, weil der Boden zu sandig ist, um sie stark zu machen. Die flachen Hügel hier und da erinnerten so sehr an den weiten Ozean, dass ich mehr als einmal in Versuchung geriet, mich nach den fehlenden Wellen umzuschauen. Ungeachtet der offensichtlichen Kargheit der Vegetation schien die Gegend einigermaßen reich bevölkert zu sein und auf irgendeine Weise müssen die Leute ihr Leben meistern.

Sie tun es, indem sie Kartoffeln anbauen und Korn für Stärkemühlen und Brennereien. In den letzten Jahren bauen sie auch Zuckerrüben für den Export an, was von der Regierung durch Prämien unterstützt wird […].

Hier und dort bot ein kleiner Wald aus Tannenbäumen eine willkommene Abwechslung während der eintönigen Reise. Wir durchquerten Nauen, Paulinenaue, Friesack, Neustadt an der Dosse, Zernitz, Wilsnack bis wir Wittenberge erreichten, wo ein Zollhaus steht, in dem alle Passagiere und Güter, die aus Preußen kommen, aufgefordert wurden, sich geringfügigen Formalitäten zu unterziehen, ohne dass es dabei zu unangenehmen Nachprüfungen gekommen wäre.“

Einem anderen Zeitgenossen verdanken wir heute eine mindestens ebenso aufschlussreiche Quelle aus den frühen Tagen von Paulinenaue. Der Zeichner Alexander Schuricht hatte um 1853 „nach der Natur und mit Genehmigung der Direction“ von sämtlichen Baulichkeiten der Berlin-Hamburger Eisenbahn eine Lithografie angefertigt. Fünfzig Jahre bevor die ersten Fotografien unseren Bahnhof auf Postkarten abbildeten, zeichnete Schuricht auch den Paulinenauer Bahnhof. Es ist das älteste überlieferte Bild unseres Dorfes und es zeigt den Bahnhof noch in seiner ursprünglichen Form.

Noch sind nicht alle Fragen zur Geschichte des Paulinenauer Bahnhofes gelöst. Wann das Gebäude baulich erweitert wurde, muss noch erforscht werden. In den Schulakten ist an einer Stelle davon die Rede, dass in Paulinenaue „zu Bahnzwecken … im Jahr 1884 noch neue Lokalitäten hergerichtet“ worden sind. Damals plante man den Bau der Bahnlinie nach Neuruppin, mit der Paulinenaue zum Umsteigepunkt wurde. Vermutlich ist in diesem Jahr mit den Anbauten begonnen worden, die dem Paulinenauer Bahnhof bis heute sein charakteristisches Aussehen verleihen.

Herzlichen Dank an Rita Hoitz vom Museum für Hamburgische Geschichte für die kostenfreie Publikationsmöglichkeit der Bildvorlage zum Zweck der Erhaltung des Paulinenauer Bahnhofs.

Quellen: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep 6 B WH Nr. 673: Berlin-Hamburger Eisenbahn, Westhavelländischer Kreis, 1844-1856; – Rep. 2A Regierung Potsdam II WH Nr. 786: Einrichtung der Schule zu Paulinenaue (1856-1903); – Rep 6b WH 846-1: Grabenschauen Havelländisches Luch; – „From East Prussia to the Golden Gate“ by Frank Lecouvreur; letters and diary of the California pioneer, edited in memory of her noble husband, by Mrs. Josephine Rosana Lecouvreur; translated and compiled by Julius C. Behnke: a machine-readable transcription. (Übersetzung der wiedergegebenen Passage von J. Scholz); – Baulichkeiten der Berlin-Hamburger Eisenbahn. Nach der Natur mit Genehmigung der Direction angefertigt von Alexander Schuricht. (Lithografie) Museum für Hamburgische Geschichte; – Die Territorien der Mark Brandenburg oder Geschichte der einzelnen Kreise, Städte, Rittergüter, Stiftungen und Dörfer in derselben, als Fortsetzung des Landbuchs Kaiser Karls IV. bearbeitet von E. Fidicin. Band III. Berlin 1860.