Die reizvollen Sanddünen der Großen und Kleinen Jahnberge vermitteln inmitten der landwirtschaftlich genutzten Luchflächen des Havellandes den Eindruck einer ursprünglichen Naturgestalt. Nur wenige menschliche Hinterlassenschaften sind hier anzufinden, doch war das Gebiet auch immer wieder Anlaufpunkt der Zivilisation. Das Spektrum der Eingriffe reicht von Ansiedelungen in der Vorzeit bis zu einem glücklicherweise abgewendeten Vorschlag aus den 1970er Jahren, die Paulinenauer Milchviehanlage an den geschützten Jahnbergen zu errichten. Auch während der nationalsozialistischen Herrschaft hatte man ein Auge auf diesen Ort. An der Nordseite der Großen Jahnberge hatte der so genannte „Reichsarbeitsdienst“ (RAD) ein Lager errichtet, das nach Rittmeister Emanuel von Froben, einem märkischen Helden aus der Schlacht bei Fehrbellin, benannt worden war. Wie sah dieses Lager aus, wer belegte es und wie muss man sich das Leben darin vorstellen? Was war überhaupt die Aufgabe, die der Reichsarbeitsdienst an dieser entlegenen Stelle im Havelländischen Luch wahrnehmen sollte?
Der freiwillige Arbeitsdienst (FAD) war ursprünglich eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Jugendliche in der wirtschaftlichen Krisensituation am Ende der Weimarer Republik. Idee und erste Realisierungsversuche reichen also vor die Nazizeit zurück, doch erst das Dritte Reich baute den Arbeitsdienst aus und stellte ihn in den Dienst des nationalsozialistischen Erziehungsgedankens. Als „Soldaten der Arbeit“ sollten die Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes Tugenden wie Fleiß, Gehorsam und selbstlose Gemeinschaftlichkeit einüben und nebenbei nützliche Arbeit verrichten. Später gewannen die wirtschaftlichen Dienstleistungen an Bedeutung und ab dem Krieg half die Organisation zunehmend auch bei der Umsetzung militärischer Ziele. Klaus Kiran Pathel hat in seinem Standardwerk den RAD als „eine Art Feuerwehr“ bezeichnet, „die dort eingesetzt wurde, wo die Krisenhaftigkeit des Regimes am deutlichsten zum Ausdruck kam“. Die jungen Arbeitsdienstler – ab 1935 war von jedem männlichen Jugendlichen eine sechsmonatige Pflichtzeit zu absolvieren – waren unter den genannten Zielsetzungen oft genug bloß Objekte von Ausbeutung und Drill. Die anfangs mitlaufende Absicht, den Jugendlichen die „Augen zu öffnen für die Schönheiten der Natur“, wie es der Reichskommissar des Arbeitsdienstes Konstantin Hierl formulierte, trat dahinter zurück.
Auf einigen Postkartenmotiven lässt sich die äußere Gestalt des Lagers Jahnberge ausmachen. Es bestand aus sechs Baracken in einfacher Holzbauweise, sehr gut erkennt man den regelmäßigen Grundriss mit Lagerhof, Wirtschaftsgarten, Flaggenmasten und Schilderhäusern, wie er für alle deutschen Arbeitsdienstlager typisch war. An der Einfahrt patrolliert ein Posten mit obligatorischem Schäferhund. Eine andere Karte zeigt einen übergroßen Reichsadler, der beim Eintritt den Eindruck nationaler Macht und Größe hervorrufen sollte. Auch im Innern dominierten nationalsozialistische Ordnungsvorstellungen. Auf einer Postkarte aus dem Jahr 1937 beschreibt ein Arbeitsdienstler knapp einige Eindrücke seines Aufenthaltes: „Wenig Zeit zum Schreiben, morgen Baustelle, Wetter schwankend, Essen gut, Lager gut, nur einsam. … Man lauert auf jedes Zeichen aus der Außenwelt. … 5 Uhr Wecken, 9 Uhr Zapfenstreich. Dienst bis auf die Minute geregelt.“
Tatsächlich wird man sich das Lagerleben in Jahnberge als eine Mischung aus strenger vormilitärischer Ausbildung und harter bodenwirtschaftlicher Arbeit vorstellen können. Die Insassen waren seit 1937 mit der Fortführung von Meliorationsarbeiten beschäftigt, die im Havelländischen Luch dauernd anfielen. Indem sie in den umliegenden Gemarkungen die Grundräumung von Gräben besorgten, sich an der Errichtung von Brücken, Wegen und Windschutzstreifen oder am Ausbau des Kleinen Havelländischen Hauptkanals beteiligten, übernahmen sie immer wieder Aufgaben, die eigentlich dem Wasser- und Bodenverband zufielen. Neben Jahnberge bestanden im Havelländischen Luch weitere Lager in Mangelshorst, Görne, Nauen, Bienenfarm und in Buckow.
Wie sehr die militärische Erziehung zu willfährigen Soldaten das Lagerleben bestimmte, geht aus einem Fundus von Feldpostbriefen hervor, die der Berliner Jugendliche Joachim Kowarik in den letzten Kriegstagen aus Jahnberge an seine Eltern in Charlottenburg schrieb. Unverblümt beschreibt Kowarik die Schikanen und die totale Kontrolle, der er ausgesetzt war. Sein Vorgesetzter sei „ein guter Pg. (Parteigenosse) und richtiges Nazigestell“ und erteile den Jungen politischen Unterricht: „Bei diesem Genossen haben wir den meisten politischen Unterricht. Am 2. oder 3. Tag kam dieser Nazi in unsere Truppstube, er richtete an uns einige politische Fragen, ich gab eine gute Antwort und wurde als erster in seine Liste eingetragen; wie ich später erfuhr, sind alle, die auf seiner Liste standen, die Auslese, bezw. die Intelligenz. Am 3ten Tag ging es zum ersten Mal auf den Platz zum Ordnungsdienst. Dort fiel ich durch eine schlechte Haltung auf und wurde aus den Reihen der sogenannten Intelligenz ausgeschieden. Die Auslese wird besonders ausgebildet. Diese sollen, glaube ich, als RAD-Führer … herangezogen werden, inzwischen hat sich meine Haltung zu Gunsten geändert.“
Joachims Gedanken kreisen noch einige Tage um seine körperliche Kondition, er schreibt über seine Leistungen auf der Hindernisbahn, bei Klimmzug- und Weitsprungübungen, doch spätestens, als er von der Bombardierung Potsdams am 14. April 1945 erfährt und das Näherkommen der Front selbst beobachten kann, ergreift ihn offenbar die schiere Angst. Wenige Tage, bevor polnische Einheiten Ende April 1945 in das Havelland vordrangen, datieren Kowariks letzte erhaltene Zeilen: „Ich schreibe diesen Brief gerade in der Dienstzeit, zu einer Zeit, wo gerade drei oder vier feindliche Tiefflieger hier über unser[em] Lager erscheinen und mit Bordwaffen, Kanonen u.s.w. Bahnhof Paulinenaue nebst Eisenbahnen beschießen. Dieses ist nun schon der dritte Angriff, den wir in kurzer Zeit hier unmittelbar erhalten“. Wie viele junge Soldaten ersehnt er nun vor allem ein Wiedersehen mit seiner Mutter, für die er Brot und Butter gespart hat, Dinge, die sie noch erhalten soll, bevor, wie er schreibt, „der Herr uns wohl in die Gefangenschaft stecken möge“.
Was aus Joachim Kowarik geworden ist und wie das Jahnberger Arbeitsdienstlager letztendlich aufgelöst wurde, dürfte sich nur schwer ermitteln lassen. Die Briefe des jungen Arbeitsmannes geben jedoch wertvolle Einblicke in das chaotische Ende des Naziregimes und in die bis dahin fortdauernde Existenz einer Organisation, von der vor Ort heute kaum noch sichtbare Spuren zu finden sind. Die Baracken sind restlos verschwunden, nur einzelne damals angepflanzte Fliederhecken und die eine oder andere regelmäßig verlaufende Baumreihe zeugen noch von jener kurzen Episode in der Geschichte des heutigen Naturschutzgebietes. Alles andere hat sich, zum Glück, längst die urwüchsige Landschaft zurückerobert.
Literatur: Patel, Kiran Klaus (2003): „Soldaten der Arbeit“: Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933-1945. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Quellen: Feldpostbriefe des Arbeitsmannes Joachim Kowarik aus dem Reichsarbeitsdienstlager „Rittmeister von Froben“ in den Großen Jahnbergen an seine Eltern, Familie H. Kowarik in Berlin Charlottenburg, April 1945. Archiv Frank Schrader, Paulinenaue. Postkarte von Hans ? aus dem Reichsarbeitsdienstlager Jahnberge an Helmut Micheli vom 12.04.1937, Original bei Frank Schrader, Paulinenaue. Archiv Frank Schrader, Paulinenaue.
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