Kirchenbücher und Kriegschroniken – Die Anfänge

Paulinenaue ist ein junges Dorf, das 1833 aus einem unbedeutenden Vorwerk hervorging. Für lange Zeit wurden Aufzeichnungen wichtiger Lebensereignisse seiner Einwohner, wie Geburten, Taufen, Hochzeiten und Todesfälle, nur in den Kirchenbüchern der Nachbargemeinden festgehalten, zu denen es kirchenrechtlich gehörte. Erst seit 1920 wurde in Paulinenaue ein eigenes Kirchenbuch geführt. Besonders Retzower Pfarrer haben über die Kirchenbücher hinausführende Chronikaufzeichnungen hinterlassen, in denen schon im späten 19. Jahrhundert vereinzelt auch aus Paulinenaue berichtet wird. Im Ersten Weltkrieg führte Pfarrer Martin Koch (geb. 1865) regelmäßig Aufzeichnungen, um den Soldaten an der Front Auskunft über das Leben in der Heimat zu geben, die später auch gedruckt wurden. Sie haben einen nationalistischen Unterton, vermerken aber viele Alltagsgeschichten und die Stimmung in den Dörfern Retzow, Selbelang, Pessin und Paulinenaue.

Titel der Pfingstnummer 1915 der von Martin Koch herausgegebenen „Heimats-Zeitung“ für die Soldaten des Ersten Weltkrieges.

Pfarrer, Lehrer, Eisenbahner – Die ersten Paulinenauer Ortschonisten

Erst Mitte des 20. Jahrhunderts begannen Ortschronistinnen und Ortschronisten, sich mit Paulinenaue auch unter historischen Gesichtspunkten zu befassen. Wiederum stand ein Retzower Pfarrer am Anfang. Walther Pachali (1908-1994) durchforstete die Pfarrakten und berichtete während des Zweiten Weltkriegs daraus bei geselligen Veranstaltungen. Vor 1945 soll auch bereits der Bahner Ernst Jakob (1890-1966), Enkel eines Paulinenauer Eisenbahnpioniers, Chronikaufzeichnungen verfasst haben, die jedoch in den letzten Kriegstagen mit sämtlichen Gemeindeunterlagen auf bisher ungeklärte Weise verschollen sind. Wahrscheinlich wurde das Gemeindearchiv absichtlich vernichtet, damit es nicht der Roten Armee in die Hände fällt. Ernst Jakob und Pfarrer Pachali waren also die ersten Paulinenauer Ortschronisten. Jakob hat Ende der 1950er Jahre sein Wissen über die Geschichte Paulinenaues aus der Erinnerung in einem kurzen Text nochmals zusammengefasst. Dazu war er auch noch einmal an Pachali herangetreten, der aber nichts mehr beisteuern konnte. Wohl im Zusammenhang mit Jakobs Bemühungen, eine Paulinenauer Ortschronik zu schreiben, begann zur selben Zeit auch der Paulinenauer Turn- und Sportverein (PTSV) , seine Vereinsgeschichte aufzuarbeiten.

Schon den preußischen Volksschullehrern war die Beschäftigung mit der Heimatgeschichte zur Aufgabe gemacht worden. Viele Dorfschullehrer befassten sich damit. In Paulinenaue war es Lehrer Hermann Schmidt (1897-1945), der seit den späten 1920er Jahren mit seiner Fotokamera Aufnahmen von Paulinenaue machte, doch er schrieb nichts auf. Als Chronist trat erst Lehrer Gerhard Hellwig (geb. 1924) in Erscheinung. 1983 wurde er sogar offiziell als Paulinenauer Ortschronist gemeldet. Das Spezialgebiet seiner Tätigkeit war die Ur- und Frühgeschichte unserer Gegend. Aber auch Hellwig hinterließ außer Notizen und einer Sammlung von Zeitungsausschnitten keine zusammenhängende Chronik.

Das Institut als Impulsgeber

In der DDR-Zeit waren die Einflüsse, die vom 1949 gegründeten Paulinenauer Landwirtschaftsinstitut ausgingen, wichtiger. Mit ihrer eigenen Zeitung, der „Paulinenauer Institutspost“, setzten die Institutsmitarbeiter in den 1960er Jahren einen neuen Impuls. Die Redakteure, allen voran der Fotograf Georg Drasché (1929-2014), flochten immer wieder ortsgeschichtliche Artikel in ihr Mitteilungsblatt ein. Die wichtigsten Beiträge verfasste Drasché in Artikelreihen zur Geschichte Paulinenaues und des Havelluches. Auch zwei Bildbände, in denen er auf Anregung des Bürgermeisters in den frühen 1960er Jahren das Paulinenauer Dorfbild festhielt, sind heute wichtige Quellen der Ortsgeschichte. Ebenfalls aus Institutskreisen ging die erste Paulinenauer Ortschronik hervor, die in Buchform vorliegt. Professor Günter Wacker (1929-1993) verfasste sie 1984. Wackers Chronik ist bis heute das „Standardwerk“ unter den Paulinenauer Ortschroniken.

Der Einband von Günter Wackers 1984 veröffentlichter 146-seitiger Chronik von Paulinenaue.

ABM-Maßnahmen und Vereinsaktivitäten

Die erste Chronistin der Nachwendezeit war Helga Müller. Sie hatte schon in den 1980er Jahren mit Günter Wacker zusammengearbeitet und verstand ihre 1995 fertiggestellte Chronik als Ergänzung und Fortführung seines Wirkens. Wie Müller haben in den 1990er Jahren auf ABM-Basis noch Ute Kohlhoff aus Brädikow und Sabine Bachmann, die der Gemeinde im Jahr 2000 eine umfangreiche Aktualisierung vorlegte, zur Geschichte des Ortes gearbeitet.

Um die Jahrtausendwende bestand also bereits eine gute Basis ortshistorischer Schriften. Einem Gemeindebeschluss folgend, übernahm Dr. Peter Pollack als stellvertretender Bürgermeister damals die Aufgabe der Fortführung der Gemeindechronik. Pollack (1930-2017) hat sie bis zu seinem Tod wahrgenommen und Jahr für Jahr das Paulinenauer Gemeindeleben dokumentiert. Seine Aufzeichnungen veröffentlichte er im Internet auf der vom Paulinenauer Kulturverein betriebenen Website www.paulinenaue.info. Die Bebilderung übernahm Joachim Scholz, der die Seite 2004 ins Leben gerufen hatte und der selbst seit seiner frühen Jugend, angeregt durch Günter Wackers Buch, heimatkundliche Nachforschungen betrieb. Peter Pollack gab 2004 und in zweiter Auflage 2014 eine gedruckte Broschüre zur Ortsgeschichte von Paulinenaue heraus, die bis vor Kurzem noch vom Bürgermeister zu besonderen Anlässen überreicht werden konnte. Pollacks jährliche Dokumentationen, die nach einer Reorganisation der Website 2014 nicht mehr zugänglich sind, werden demnächst sukzessive wiederhergestellt.

Die touristische Tafel mit der Geschichte des Paulinenauer „Waldbären“ August Kaster in der Pessiner Heide ist ein Ergebnis eines ortsgeschichtlichen Jugendprojektes des Paulinenauer Kulturvereins. Foto: J. Scholz 2015.

Der 2006 gegründete Paulinenauer Kulturverein betreibt ein Archiv, das zahlreiche Text- und Bildquellen und auch alle bisherigen Chroniken von Paulinenaue sammelt und aufbewahrt. Mitglieder des Kulturvereins führen Interviews mit älteren Bürgern des Ortes, organisieren Vorträge und Ausstellungen oder veröffentlichen historische Beiträge für die Lokalzeitung und die Internetseite. In kleinen und größeren Projekten bringen sie – auch gemeinsam mit der Grundschule – Kinder und Jugendliche mit der spannenden Paulinenauer Ortsgeschichte in Verbindung. Im Januar 2024 beschlossen Vereinsmitglieder, die durch Peter Pollacks Tod unterbrochene fortlaufende Chronikarbeit wieder aufzunehmen. Neben dem Kulturverein befassen sich auch andere Vereine mit der Geschichte von Paulinenaue. 2023 präsentierte Detlef Wacker anlässlich des 100. Vereinsjubiläums eine umfangreiche Chronik des PTSV.

Noch nie in der Geschichte Paulinenaues ist so intensiv zur Historie des Ortes gearbeitet worden wie gegenwärtig. Bei dieser Arbeit entfaltet sich die Vielfalt der Geschichten, die über Paulinenaue erzählt werden können. Sie weisen weit über die Grenzen des Dorfs hinaus und vermitteln Einblicke in viele Themen, mit denen Paulinenaue verknüpft ist. Das ist interessant, lehrreich und immer wieder überraschend. Machen Sie mit!