Joachim Schultz-Granberg wuchs in Paulinenaue auf. Heute ist er Architekt, Stadtplaner und Professor für Städtebau an der MSA | Münster School of Architecture. Er gehört zum Team, das sich aktuell der Perspektivsuche für das Bahnhofsgebäude zusammengefunden hat und unterbreitet hier seine Vision für das Bahnhofsgebäude.  

Ausgangspunkt

Das 1847 erbaute Bahnhofsgebäude in Paulinenaue ist nicht nur eines der ältesten Gebäude im Ort, sondern auch ein Teil der verbliebenen Identität des Ortszentrums, wenn auch leerstehend, mit einem Bauzaun abgesichert und fast auf dem Weg, eine Ruine zu werden.

Gemeinde und Amt probieren seit Jahren vergeblich, das Gebäude zu veräußern, denn die Aufgabe der Sanierung in Verbindung mit einem tragfähigen Nutzungsprofil und Konzept fordert eine unkonventionelle und spezifische Lösung, die bisher noch nicht am Horizont war. Die Schwierigkeit einer guten Lösung liegt darin, die Ambitionen mit den Kosten für die Sanierung und den Betrieb des Gebäudes zur Deckung zu bringen und gleichzeitig den Ort als Adresse im Ortszentrum wieder zugänglich und attraktiv zu machen. Für einen Supermarkt gibt es zu wenig Kundenfrequenzen, für kommunale Nutzungen ist das Haus zu groß, ein Arzt wird sich auf absehbare Zeit in Paulinenaue nicht niederlassen, ein reines Wohnhaus bildet keine öffentliche Adresse.

Konzept

Die Lösung liegt nicht im „entweder-oder“, sondern im „und“ und damit in der Kombination von Programmen mit zum Teil flexiblen Grundrissen, die eine Nutzungsänderung ermöglichen. Als Umsteigepunkt zwischen Bahn, Auto und Bus, mit offenen Programmen im Erdgeschoss, Wohnungen unten und im Obergeschoss, einigen klar definierten Nutzungen und flexiblen Möglichkeitsräumen für die Zukunft – im und vor dem Haus – wird der Bahnhof als „dritter Ort“ entwickelt. So entsteht am Streckenkilometer 49 Raum für Gemeinschaft, Vereine, Dienstleistungen, Veranstaltungen und variable zusammenschaltbare Wohnungen, die das Angebot im Dorf erweitern und die wachsende Nachfrage bedienen können. Endlich kann man wieder durch das Gebäude zum Bahnsteig gehen und steht nicht abseits im Regen. Die Abstellflächen für Autos weichen in den nordöstlichen Bereich. Der Vorplatz vor dem Haupteingang wird eine Adresse zum Ankommen, Schatten und Grün inklusive.

So oder ähnlich könnte das Bahnhofsumfeld einmal aussehen. J. Schultz-Granberg, April 2025.

Neue Wohnmodelle

Im Obergeschoss und in einem Teil des Erdgeschosses können verschiedene und flexible Wohnungen entstehen. Kleinere Wohnungen sind z.B. durch Sollbruchstellen in den Wänden zusammenschaltbar, so dass 1,5 bis 3 Zimmer-Wohnungen denkbar sind. Vor allem auf dem nordwestlichen Teil des Vorplatzes befindet sich eine entsiegelte Grünfläche, die als nachbarschaftlichen Wohnumfeld mit zum Teil privaten, den Wohnungen zugehörigen Gärten. Wenn der Denkmalschutz das zulässt wird es Treppen aus dem höher gelegenen Erdgeschoss direkt ins Grün geben.

Wer hier wohnt, verpasst nie den Zug. Studierende mit Direktanschluss zur UdK und zur TU Berlin (Bahnhof Zoo) und zur Humboldt-Uni (Bahnhof Friedrichstraße) könnten hier ebenso wohnen wie Alleinstehende, alleinerziehende Väter oder Mütter. Die Wohnungen könnten auch Betriebswohnungen werden. Ein Teil der notwendigen Nutzungen könnte nach dem Prinzip von Clusterwohnungen gemeinsam nachbarschaftlich genutzt werden. Denkbar wären kleine Küchen in denWohnungen und eine gemeinschaftliche Küche, die gleichzeitig die öffentlichen Nutzungen versorgt.

Öffentliche Nutzungen

Ein Teil des Erdgeschosses kann öffentlich oder auch kommerziell genutzt werden. Insbesondere die Halle im Südostflügel biete sich als „Joker-Raum“ an. Joker bedeutet nicht diese oder jene Nutzung, sondern ein Mehrzweckraum: Gemeindevertretersitzungen, Vereinstreffen, Vorträge, öffentliche oder private Feste, Ausstellungen, u.v.m. sind denkbar. Flankiert wird dies durch Dienstleistungen und Angebote, die durch Initiativen im Ort oder Ehrenamt getragen werden, z.B. Tante Emma 2.0, Verkauf von lokalen Produkten (Honig, …) oder ein Amtsservice. Natürlich wird Infrastruktur für Fahrräder in unmittelbarem Umfeld des Bahnhofes angeboten: Radbügel, überdachte Stellplätze, Ladesäulen für E-bikes und Luftpumpen gehören dazu. Diese Angebote werden Teil des Wohnumfeldes und fördern die Lebendigkeit im Gebäude.

Zusätzlich werden Zugreisende durch das Haus geführt und sind potenzielle Kunden für den „coffee-to-train“. Die öffentlichen Nutzungen sind Teil des Knoten- und Umsteigepunktes, hier darf man nicht nur ankommen, sondern auch hängenbleiben. Kultur im Vorbeigehen. Paulinenaue macht der Bahn den „Hof“. ;-)

Perspektive

Wohnungen und öffentliche Nutzung können voneinander profitieren. Zusammen mit dem Vorplatz entsteht in Paulinenaue endlich wieder ein lebendiger zentraler Ort. Der Spielplatz auf der Fläche des ehemaligen Konsums wird Parkplatz. Zukünftige Investitionen in Spielplätze finden von nun an auf der Südseite der Bahnhofstraße statt. Im Bereich direkt an den Bahngleisen ist ein Parkdeck möglich, was gleichzeitig die Lärmemissionen der Bahn eindämmen kann. Mindestens die gleiche Anzahl an Parkplätzen soll wieder entstehen, um Pendlern aus den Nachbardörfern den Umstieg leicht zu machen.

Weitere Stichworte, Namen

# Bahn-Gut
# Bahn-Residenz
# Wohn-Bahnhof
# Zeit-Bahnhof (Zeit verbringen)
# Rad-Bahnhof
# Anschluss an die Welt, Welt(raum)bahnhof
# Weltraumbahnhof >> Möglichkeits-Raum-Bahnhof

Text: Joachim Schultz-Granberg, April 2025